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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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geschlossen.
    «Bitte, Mutter, sprich mit mir. Sag irgendetwas.»
    Entweder war ihre Mutter eingeschlafen oder erneut in Ohnmacht gefallen. Wenn doch nur der Medicus wieder käme. Da bewegten sich die eingefallenen Lippen. Ein leises Zischen, dann ein Hauchen. Agnes hielt ihr Ohr dicht an Marthe-Maries Mund.
    «Jakob? Willst du Jakob sagen?»
    Sie spürte einen leisen Druck an der Hand. Im nächsten Moment verstand sie ganz deutlich: Matthes. Danach versank Marthe-Marie wieder in ihren Schlaf oder wie immer man ihren Zustand bezeichnen mochte.
    Es klopfte, und David öffnete die Tür. Es war Antonia mit einer versiegelten Papierrolle in der Hand.
    «Der Geleitbrief, Agnes.»
    Dann sah sie die leblose Gestalt im Bett. «Gütiger Gott, was ist mit deiner Mutter? Ist sie krank?»
    «Sie ist die Treppe hinabgestürzt. Seither kommt sie nicht mehr recht zu Bewusstsein. Ich fürchte, Prinzessin, der Geleitbrief wird mir nichts nutzen.»
    «Sag nicht so was. Sie wird wieder auf die Beine kommen. War der Hofarzt schon da?»
    Agnes nickte. «Er wollte vor der Nacht noch einmal vorbeischauen.»
    «Dann bleibe ich so lange hier. In den Frauengemächern stehe ich ohnehin nur im Weg herum.»
    «Wann brecht Ihr auf?»
    «Übermorgen.» Sie unterdrückte ein Seufzen und strich ihren dunkelgrünen Brokatrock glatt.
    In diesem Moment stürmte ohne Ankündigung Doctor Schopf herein.
    «Oh, Euer Durchlaucht – verzeiht.» Er verneigte sich galant vor der jungen Frau, dann trat er ans Krankenbett.
    «Ihre Konstitution hat sich ein wenig stabilisiert», sagte er, nachdem er Augen, Rachen und Brust untersucht hatte. Marthe-Marie blieb währenddessen weiterhin ohne Bewusstsein. «Aber da ist noch etwas anderes.»
    Er bewegte nacheinander ihre Arme, ihre Beine, ihre Hände, knetete sie, hob sie hoch und ließ sie wieder fallen.
    «Es tut mir sehr Leid.» Sein Gesicht wirkte niedergeschlagen. «Ihre Frau Mutter ist offenbar gelähmt. Ich kann da nichts tun.»

24
    Zu Bopfingen, den 20.   August
    anno Domini 1634
     
    Die Schelmereien im Lager werden immer ärger, vor allem das Auftreten von morbus gallicus. Wie Ekel erregend ein Mensch stinkt, wenn Mund- und Rachenraum verfaulen! Ist der Körper erst von eitrigen Geschwüren bedeckt, bleibt nichts mehr zu retten. In früheren Stadien der Lustseuche erziele ich inzwischen recht gute Erfolge mit einer Kur aus Quecksilber und tropischem Guajak-Holz. Der Soldaten glauben übrigens immer noch, man hole sich die «Franzosen» wie die Pest über faulige Ausdünstungen und Miasmen. Ich habe es aufgegeben, sie zu überzeugen, dass die weitaus größte Zahl der Ansteckungen über Kopulation erfolgt.
    Doch all das Elend im Lager ist nichts gegen den Anblick der Schlachtfelder nach dem Gefecht. Wenn ich hinaus muss, um die Verletzten zu retirieren, ertrage ich dieses Grauen nur noch, wenn ich zuvor ein paar Krüglein Branntwein zu mir nehme. Ob ich mich je daran gewöhnen werde? An die aufgerissenen Leiber und gespaltenen Schädel, an das Lamento der Verwundeten um Hilfe
oder um einen erlösenden Tod? Manchen ist das halbe Gesicht weggeschossen oder der Unterschenkel, und noch immer krauchen sie auf allen vieren zwischen den Kadavern umher. Doch das Ärgste folgt, wenn erst die Plünderer über den Kampfplatz herfallen wie die biblischen Heuschrecken. Manche schrecken nicht einmal davor zurück, den Toten oder Halbtoten die Haut vom Leib zu ziehen und ihnen die membra virilia abzuschneiden, um alles zu dörren und als kostbarste mumia an Quacksalber zu verscherbeln, die daraus Arznei machen.
    O ja, ich vermag endlich ungehindert Sektionen durchzuführen, um den menschlichen Körper zu studieren. Nach jeder Schlacht bietet sich Gelegenheit zuhauf. Nun hat sich dieser mein Wunsch erfüllt – doch um welchen Preis?
    Mittlerweile sind wir in Bopfingen angelangt, im Schwäbischen, und ich weiß, dass Weimar die entscheidende Schlacht sucht. Ich bete zu Gott, dass Matthes nicht dabei sein wird.
    «Wann, sagtet Ihr, setzt sich das Landesaufgebot in Marsch?»
    «Morgen früh.»
    Agnes hatte eine schlaflose Nacht verbracht. Sie stand mit Prinzessin Antonia am Fenster, die tröstend ihre Hand hielt. Noch immer hallte ihr die Diagnose des Medicus wie ein Malefizurteil in den Ohren. David hatte sie nach draußen zu seinen Freunden geschickt, und ihre Mutter lag unverändert in ihrem Dämmerzustand. Nur einmal noch war sie zu sich gekommen und hatte die Namen ihrer Söhne gemurmelt. Agnes hatte plötzlich

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