Die Gauklerin
Antonias Rocktasche die Wangen. «Beruhigt Euch doch, Prinzessin. Wie oft kam es in diesen Jahren schon anders, als wir alle dachten. Ihr dürft nicht gleich das Schlimmste befürchten.»
Dabei befürchtete Agnes selbst das Allerschlimmste.
Ein warmer Wind kam auf und ließ die Blätter des Weinlaubs über ihnen leise rascheln. Das Jahr versprach eine gute Ernte. Wer würde die Trauben im Land lesen?
«Vielleicht hast du Recht, Agnes. Der Herzog meint auch, unsere Reise nach Straßburg habe er nur vorsichtshalber angeordnet, er wolle uns Frauen eben in Sicherheit wissen. Straßburg sei eine reiche Stadt, friedlich, von Seuchen verschont und hinter den großen Festungswällen in höchstem Maße sicher. Eberhard ist sich gewiss, dass die vereinten protestantischen Truppen siegen werden. Und dann kehren wir zurück. So Gott will.»
«Ganz bestimmt. Und unserer schönen Stadt hier wird nichts geschehen.»
«Ach, ich mache mir große Sorgen um euch alle, die zurückbleiben. Jetzt, wo es hier rundum von Soldatenvölkern wimmelt. Wie gern würde ich euch mitnehmen. Aber du kennst ja die Order meines Bruders: Nur die Hofchargen und deren Kammerdiener dürfen mit. Übrigens: Hast du es schon erfahren?»
«Was?»
«Rudolf hat abgelehnt, er will hierbleiben. Ich glaube, er liebt dich wirklich.»
Agnes lehnte sich gegen die kühle Steinmauer. Vielleicht liebtesie ihn ja auch, diesen aufrichtigen, selbstlosen Mann. Waren nicht Verbundenheit und Treue eine allemal bessere Grundlage für ein Leben zu zweit als kopflose Leidenschaft?
«Hör zu, Agnes. Versprich mir, dass ihr die Stadt verlasst, sobald sich die Kaiserlichen nähern. Sie werden von Osten kommen, durch das Remstal. Da bleibt euch genug Vorsprung, um in den Schwarzwald zu entkommen. Geht nach Wildbad. Die Stadt ist mit Mauern und Toren gut befestigt. Mit meiner Empfehlung könntet ihr im Ulrichsbau Quartier nehmen. Oder noch besser: Geht nach Freudenstadt. So weit hinauf in die Berge werden die Truppen nicht kommen. Ich werde euch auf jeden Fall einen herzoglichen Geleitbrief ausstellen lassen, das wird mir mein Bruder nicht verwehren können. Damit kommt ihr zumindest an den protestantischen Verbänden unbehelligt vorbei.»
Sie hatte hastig gesprochen, als bliebe ihr keine Zeit mehr. Dabei würde es noch Tage dauern, bis der herzogliche Hofstaat zum Abmarsch bereit war.
In diesem Augenblick kam David angelaufen.
«Hier bist du,
maman
. Ich habe dich überall gesucht.» Er verneigte sich kurz vor der Prinzessin, dann fuhr er fort. «Der Ahn geht es sehr schlecht, sie liegt auf dem Bett und stöhnt ununterbrochen.»
«O Gott! Rasch, gehen wir.»
«Wird – wird Stuttgart fallen?», wandte der Junge sich unvermittelt an Antonia. «Ist deshalb der ganze Hof im Aufbruch?»
«Euch wird nichts geschehen, ich habe mit deiner Mutter alles besprochen. Rudolf wird auf euch Acht geben.»
Sie eilten zurück ins Schloss, vorbei an Bediensteten, die Truhen und Koffer, Hutschachteln und Geschirrkisten herumschleppten, Anweisungen wurden gebrüllt, Flüche ausgestoßen, irgendwo brach jemand in Schluchzen aus. Es herrschte ein unbeschreibliches Durcheinander. Als sie ihre Kammer betraten, lag Marthe-Marie ausgestreckt auf dem Bett, wie aufgebahrt, dieAugen starr an die Decke gerichtet. Selbst hier drinnen war das Geschrei der Diener und Mägde noch zu hören.
«Was ist mit dir?» Agnes setzte sich auf den Bettrand und streichelte die Hände der Mutter, die bleich und kalt in ihrem Schoß ruhten.
«Ich habe Schreckliches geträumt!» Marthe-Maries Augen waren weit aufgerissen. «Von zwei Hunden. Mitten in einem Heerlager. Haben sich ineinander verbissen, ein heller und ein dunkler Hund. Das Blut ist ihnen in Strömen über das Fell gelaufen. Und dann –», sie war plötzlich kreideweiß, «dann waren da plötzlich Jakob und Matthes. Sie sahen so verzweifelt aus. Dann krachte eine Büchse, und ich wurde wach. Agnes, ich hab solche Angst, dass sich die beiden Jungen gegenseitig umbringen.»
Agnes sah sie verstört an. Als dazumal, vor vielen, vielen Jahren, sich die beiden Hunde vor dem Ravensburger Rathaus bis aufs Blut gebissen hatten – da war ihre Mutter gar nicht dabeigewesen. Sie konnte davon nichts wissen. Gütiger Herr im Himmel, wenn dies nun ein Zeichen war?
«Wenn ich die Augen schließe, kann ich das Gemetzel sehen. Überall Blut und Leichen, und mitten in dieser Hölle sehe ich Jakob und Matthes.»
Vergeblich kämpfte Agnes gegen das Entsetzen an.
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