Die Gauklerin
ruhig. Um den Anschein zu erwecken, dass hier ein ansehnlicher Truppenteil unterwegs war, wurden jeden Abend Dutzende kleiner Feuerstellen rund um das Lager entfacht. Dennoch war es einige Male zu nächtlichen Schusswechseln gekommen, und im Morgengrauen hatte Agnes die Angreifer tot im Gras liegen sehen. Fast immer waren es ausgehungerte Bauern gewesen, die sich im Lager Beute erhofft hatten.
Steinhagen forderte fast jede Nacht sein Recht. Lediglich wenn er zu viel getrunken hatte, was selten geschah, ließ er sie schlafen. Ihr anfänglicher Ekel und Widerwillen gegen seine Zärtlichkeiten schwand allmählich und wich einer merkwürdigen Art vonGewöhnung, die allerdings ohne jeden Anflug von Lust oder Begierde ihrerseits blieb. Zu ihrer Erleichterung gebrauchte er niemals Gewalt oder verlangte Absonderliches von ihr. Mitunter hatte sie sogar den Eindruck, dass es ihm, vor allem anderen, um Nähe und Wärme ging. Tagsüber wirkte er weiterhin abweisend und unnahbar. So erging es ihr nicht schlecht. Als Buhlin des Anführers bekam sie ausreichend zu essen, und gleich am zweiten Tag hatte Steinhagen ihr neue, warme Kleidung geschenkt. Zur größten täglichen Sorge wurde ihr, kein Kind zu empfangen. Sie betete jede Nacht, dass Gott sie vor dieser Schande verschonen möge, und zwang sich, an die Prophezeiung der Alten zu glauben.
Sorgen machte sie sich auch zunehmend um Andres. Er fügte sich zwar inzwischen jeder Anweisung, war aber schweigsamer denn je. Sie ahnte, dass es mit ihr und Steinhagen zu tun hatte. Sein Blick war voller Hass, wenn er dem Rittmeister begegnete.
Inzwischen war endgültig das Frühjahr übers Land gekommen, und Agnes spürte, wie die Wärme ihr neue Kraft verlieh. Nun kannte sie auch das Ziel ihrer Reise: Zürich in der eidgenössischen Schweiz. Dort sollten sich die versprengten schwedischen Truppen sammeln, um auf weitere Anweisungen von General Banér zu warten. Spätestens dort, sagte sich Agnes immer wieder, würden sie und Andres die Flucht wagen, um nach Stuttgart zurückzukehren.
In sicherer Entfernung hatten sie die Reichsstadt Ulm passiert, nun zogen sie die Donau aufwärts. Das breite Tal wirkte verwüstet und entvölkert. Als sei einer mit einem riesigen Besen hindurchgefegt, dachte Agnes. Auf der Alb hatten sie sich auf den Dörfern und Höfen holen können, was sie zum Leben brauchten – zu Agnes’ Entsetzen stets ohne Bezahlung und unter Androhung roher Gewalt. Die verängstigten Bauern hatten ihnen gegeben, wonach sie verlangten, ob Furage, Geld oder Reittiere, nur damit sie rasch weiterzögen. Mitunter hatten sie gar Boten mitWein oder Silberstücken geschickt, die darum baten, man möge einen Bogen um ihr Dorf, ihren Hof machen. Zu Gemetzeln war es bislang zum Glück nicht gekommen. Dennoch hatte Agnes sich geschämt, das Brot zu essen, das man anderen weggenommen hatte.
Was sie nun allerdings im Tal der Donau erwartete, ließ ihre Reise über die Alb im Nachhinein fast wie eine Kavalierstour erscheinen. Bereits zwei Tagesmärsche hinter Ulm machte sich der Hunger bemerkbar, da ihren Weg nur ausgebrannte, restlos geplünderte Weiler säumten, in denen nicht einmal mehr Feuerholz zu holen war. Zudem kamen sie hier, im Durchzugsgebiet aller erdenklichen Truppen, nur wie die Schnecke im Weinberg voran: Zum Schutz gegen nächtliche Angriffe feindlicher Heeresteile schufteten sie jeden Tag ab der Mittagsstunde beim Schanzen und Ausheben von Gräben, nur um ihr befestigtes Lager am nächsten Morgen wieder aufzugeben.
Die Kinder begannen zu quengeln und zu jammern, die Männer und Frauen aus den nichtigsten Anlässen Händel zu suchen. Kein Tag verging ohne handfeste Raufereien, bis Steinhagen eines Morgens zwei Mannschaften zusammenstellte: eine kleinere, die er auf die Jagd schickte, und eine größere für Ausrüstung und Verpflegung. Doch statt die brachliegenden Felder zu durchkämmen, statt Frösche und Schnecken zu sammeln, Kräuter und Beeren, bekam jeder ein Pferd zugeteilt. Anschließend verschwand die Meute zusammen mit Steinhagen hinter den Hügeln.
«Wohin reiten die?», fragte Agnes ihren Bewacher, den rotgesichtigen Burschen des Rittmeisters.
«Sie gehen auf Partei. Vielleicht erlaubt dir ja dein Bettschatz beim nächsten Mal mitzukommen. Musst ihn halt recht ordentlich bedienen in der Nacht.» Er warf ihr einen lüsternen Blick zu.
«Darauf pfeif ich.»
Keine drei Stunden später kehrte Steinhagen zurück. Der Beutezugschien erfolgreich gewesen zu sein,
Weitere Kostenlose Bücher