Die Gauklerin
wieder von Quergängen und schmalen Türen unterbrochen war. Sie bogen mal links, mal rechts ab, bis sie vollkommendie Orientierung verloren hatte. Ohne ihre Begleiter wäre sie in diesem Labyrinth rettungslos verloren gewesen.
«Ihr bleibt hier stehen», bestimmte Althaus in barschem Tonfall. Er entriegelte eine weitere Eisentür und verschwand mit Widerhold durch den Spalt.
«Los, wischt eure Gesichter sauber, ihr habt Damenbesuch», hörte Agnes ihn schnauzen, dann folgte undeutliches Flüstern. Dicht neben ihr stand Faber, der jetzt unbeholfen ihre Hand drückte.
«Erschreckt nicht», sagte er leise. «Kriegsgefangene sind kein angenehmer Anblick. Aber ich versichere Euch, sie sind den Umständen entsprechend wohlauf.»
«Ihr könnt eintreten», rief der Kommandant von der anderen Seite der Tür. Agnes holte tief Luft, dann stieß sie die Tür auf. Die Lampe erhellte notdürftig einen großen, rechteckigen, vollkommen kahlen Raum, knapp unter der Decke befand sich ein winziges vergittertes Fenster. Und auf den Strohschütten kauerten, in großem Abstand und an den Handgelenken an die Wand gekettet, zwei Männer. Es dauerte einen Augenblick, bis Agnes in dem dunklen Mann mit dem verfilzten langen Haarschopf und Vollbart ihren Bruder erkannte. Sie brachte kein Wort heraus.
«Ich kenne die Frau nicht.» Matthes’ Stimme klang heiser.
«Matthes!» Der Name ihres Bruders entfuhr ihr als ein lauter Schrei. Sie stürzte auf ihn zu, packte ihn bei den Schultern und flüsterte ein weiteres Mal: «Matthes.»
Dann brach sie in Tränen aus.
«Was haben sie mit dir gemacht?»
Sie deutete auf seine verbundenen Hände. Matthes glotzte sie nur entgeistert an. Die Wangen in seinem von Schmutz und Blut verkrusteten Gesicht waren eingefallen, die Augenlider gerötet, als leide er unter Fieber. Plötzlich straffte sich sein Körper.
«Agnes! Wie kommst du hierher?»
«Das ist eine lange Geschichte.» Sie lachte und schluchztegleichzeitig und bedeckte seine Stirn mit Küssen. «Ich habe dich gefunden. Ich habe dich endlich gefunden.»
Der Kommandant räusperte sich. «Wir holen Euch in einer halben Stunde wieder ab.»
Leutnant Althaus erstarrte. «Es scheint mir nicht eben ratsam, die beiden ohne Aufsicht zu lassen.»
«Darüber bin ich ausnahmsweise anderer Meinung, Althaus. Kommt jetzt.»
Als die Tür hinter den Männern wieder verriegelt war, flüsterte Agnes: «Ich hol dich hier raus. Und dann gehen wir nach Hause, zu Mutter. Sie wartet auf uns.»
«Nach Hause.» Er schloss die Augen.
«Nicht schlafen, Matthes. Bleib jetzt wach. Was haben sie mit deinen Händen gemacht?»
«Kiensplitter», entgegnete er, ohne die Augen zu öffnen. «Brennende Kiensplitter – unter die Nägel – nicht mehr so schlimm.»
Agnes streichelte zärtlich sein verschrammtes Gesicht. Dann wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht und sagte:
«Hör zu. Sie behaupten, du wüsstest etwas über eine geplante Belagerung durch die Kaiserlichen. Du musst ihnen alles sagen, versprichst du mir das?»
Endlich öffnete er wieder die Augen. «Sie glauben mir ohnehin kein Wort. Ich bin längst nicht mehr beim Heer, ich bin desertiert. Kurz vor Ravensburg sind wir kaiserlichen Reitern ausgewichen und dabei diesen Kurieren in die Arme gelaufen.»
«Ravensburg? Du wolltest nach Ravensburg?»
Er nickte. «Zu Mutter.»
«Sie ist schon lange in Stuttgart, bei mir zu Hause. Sie liegt im Sterben.» Wenn sie nicht schon tot ist, dachte sie und wieder schossen ihr die Tränen in die Augen. «Du darfst nicht länger schweigen. Du musst alles dafür tun, dass sie dich freilassen.»
«Es ist meine Schuld», hörte sie eine junge Stimme sagen.
«Sei still, Mugge.»
«Doch, es ist einzig meine Schuld. Hätte ich nicht verplappert, dass Ihr als Wachtmeister in Nördlingen dabei wart, hätten die Kuriere uns nicht hierher geschleppt.»
«Wer ist der Junge?» Agnes sah nur die magere Gestalt, das Gesicht war im Halbdunkel kaum zu erkennen.
«Das ist Mugge, mein Reitbursche. Und mein Freund. Bitte, Agnes, komm morgen wieder. Ich bin so hundemüde.»
«Ihr habt meinen Bruder gefoltert!»
Voller Zorn schüttelte Agnes Sandor Fabers Arm ab, als er ihr die steilen Stufen heraufhelfen wollte. Er hatte sie eine Stunde später aus dem Verlies geholt.
«Ihr verkennt die Lage, Agnes. Wir sind im Krieg, und die Kaiserlichen wollen unsere Festung stürmen. Da ist es nur folgerichtig, wenn wir einen feindlichen Soldaten gefangen nehmen und verhören. Mein
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