Die Gauklerin
Matthes’ Freilassung allein Sandor zu verdanken hatte. Wie falsch hatte sie ihn doch eingeschätzt.
«Ich weiß nicht, wie ich Euch danken soll.» Sie reichte ihm die Hand.
«Hätte ich Euch verhungern lassen sollen?» Er wandte den Blick nicht von ihr ab. «Noch nie bin ich einer Frau begegnet, wie Ihr es seid.»
Agnes spürte die Wärme seiner Hand, sah den Glanz in seinen Augen, in denen sie sich plötzlich wiederfand als eine Frau, die liebte und begehrte. Alle Vorbehalte gegen diesen Mann fielen von ihr ab. Sie wich nicht zurück, als Sandor sie an sich zog. Dann schloss sie die Augen, um sich seinem zärtlichen Kuss hinzugeben. Sie erwiderte ihn behutsam, bis es in ihr aufloderte, als sei ein Windstoß in eine schwelende Glut gefahren. VollerLeidenschaft umschlang sie ihn, küsste ihn, fuhr ihm durch das dichte Haar, über das weiche und doch männliche Gesicht, hörte ihn flüstern: «Wir gehören zusammen, Agnes.»
Da polterte es unbarmherzig gegen die Tür. Widerstrebend ließen sie einander los, Sandor öffnete: Ein Soldat bat ihn unverzüglich zu einer Besprechung ins Kabinett, es sei äußerst dringlich.
«Ich bin gleich wieder zurück», sein Blick glühte noch immer, «warte auf mich.»
Doch statt Sandor erschien zwei Stunden später ein weiteres Mal der Soldat, um sie und Matthes ebenfalls ins Kabinett zu beordern. Während sie die Treppen hinunterstiegen, musterte Agnes verstohlen ihren Bruder: Er trug nun saubere Kleidung, war gewaschen, rasiert und gekämmt, doch noch immer wirkte er sehr schwach, und sein Blick war stumpf.
Außer den Offizieren standen zwei Fremde um den runden Tisch, auf dem eine Karte ausgebreitet lag. Ihre Reisemäntel waren staubig, ihre Stiefel schlammbespritzt.
«Agnes, meine Liebe!» Widerhold schüttelte ihr kräftig die Hand, als habe er sie lange Zeit nicht gesehen. Sie warf einen verlegenen Blick auf Sandor, der sehr ernst, beinahe bedrückt schien. Ob er das, was zwischen ihnen geschehen war, am Ende bedauerte?
«Die beiden Herren hier», die Fremden nickten ihr kurz zu, «sind Kuriere unseres Herzogs, auf dem Weg nach Stuttgart und Straßburg. Ich habe sie über Euch – und auch über Euren Bruder – unterrichtet. Zwei Dinge in aller Kürze: Von Norden nähern sich zwei Kompanien kaiserlicher Reiter der Burg, gefolgt von einem Regiment zu Fuß. Sie werden den Hohentwiel morgen, spätestens übermorgen erreicht haben. Euch, Matthes Marx, und Euren Burschen werden wir, sobald die Kaiserlichen in Verhandlung mit uns treten, übergeben. Zum Zweiten: Ihr, Agnes, solltet Euch rasch entscheiden, ob Ihr in Begleitung derKuriere nach Stuttgart reisen wollt. Morgen bei Sonnenaufgang werden sie aufbrechen, bevor die Belagerer ihre Truppen in Stellung bringen. Dabei rate ich, bei all meiner Sympathie für Euch: Geht mit ihnen. Es könnte die letzte Gelegenheit vor Wintereinbruch sein, und im Winter lasse ich Euch nicht gehen. Ich erwarte Euren Entschluss bis zum Abendessen», er blickte sie ernst an, «und hoffe von Herzen, dass Ihr Euch richtig entscheidet.»
Dann bat der Kommandant Matthes in die Küche zu gehen, wo Käthe für ihn und Mugge eine Mahlzeit gerichtet habe. Agnes begleitete ihren Bruder. In der Schlossküche duftete es herrlich nach gebackenen Eiern.
«Nun esst Euch erst einmal satt, Ihr seid ja beide völlig vom Fleisch gefallen.»
Käthe schöpfte zwei Teller randvoll, dann sah sie Agnes fragend an.
«Wenn es Euch nichts ausmacht», sagte Agnes, «würde ich die Mahlzeiten künftig gern mit Matthes und Mugge hier bei Euch einnehmen.»
«Den Herren Offizieren wird das nicht gefallen», murmelte die Frau, holte aber sogleich einen dritten Teller vom Küchenbord.
Agnes entging nicht die Fürsorglichkeit, die Käthe für die beiden an den Tag legte. Von Mugge erfuhr sie, dass die Wirtschafterin ihnen statt des Wassers heimlich oft warme Milch in ihr Gefängnis gebracht hatte.
«Dafür danke ich Euch von Herzen», sagte Agnes.
Die Frau zuckte die Schultern. «Wir Oberschwaben müssen halt zusammenstehen.»
Als sie nach dem Mittagsmahl auf ihre Kammern zurückkehrten, hielt Matthes seine Schwester am Arm fest.
«Ich bitte dich, Agnes: Geh mit den Kurieren.»
Sie schüttelte heftig den Kopf. «Wie kann ich ohne dich zurückkehren, jetzt, wo ich dich gefunden habe?»
«Ich komme nach Stuttgart, sobald Gelegenheit zur Flucht ist. Du darfst nicht hier bleiben. Was, wenn die Kaiserlichen die Festung einnehmen? Du stehst auf Feindesseite.»
«Diese
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