Die Gauklerin
doch über allem, was sie erkannten und glaubten, Gott immer ein und derselbe. In der dunklen Kälte des Burgverlieses, in Erwartung seines Todes, hatte er zu Gott zurückgefunden, seinen Frieden mit ihm gemacht.
Die erste Kanonade der Belagerer erfolgte am späten Nachmittag. Widerholds Leute reagierten nicht. Ganz offensichtlich hatten sie vor, ihre Vorräte an Pulver und Munition zu schonen. Als es zu regnen begann, wollte Matthes sich schon auf seine Kammer zurückziehen, da hörten sie Trompetensignale und Geschrei, dann das Krachen von Musketen.
«Diese Tollhäusler», sagte Matthes verächtlich. «Sie versuchen einen Ausfall gegen das untere Tor.»
Er sah, wie sich Agnes’ Hände zu Fäusten verkrampften. Von ihrer Warte aus hatten sie keine Sicht auf das untere Tor, doch hinter den eilig gegrabenen Schanzen der Kaiserlichen stürmten immer wieder Reiter und Handschützen hervor gegen das kleine Vorwerk des Tores.
«Und wenn die Angreifer eine Bresche ins Tor schlagen?», flüsterte sie.
Matthes zuckte nur die Schultern.
«Ist dir denn alles gleichgültig?» Ihre Stimme zitterte.
Er schüttelte den Kopf. Sie konnte nicht wissen, dass er fest mit dem Tod rechnete. Ausgeliefert würde er so oder so werden, ob die Kaiserlichen nun diese Festung zu stürmen vermochtenoder nicht. Und nur ein einziger Soldat, ein einziger Trossbube musste in ihm den fahnenflüchtigen Matthes Marx erkennen, damit der Profos ihm kurzen Prozess machte.
Als die Dunkelheit einbrach, wurde es plötzlich still.
«Komm.» Matthes fasste seine Schwester am Arm. «Es wird Zeit, etwas zu essen und schlafen zu gehen.»
Am nächsten Morgen half Matthes, die Verpflegung für die Männer auf der unteren Burg auf Karren zu laden. Dann bestieg er mit Agnes den Turm. Bis auf ein paar kurze Schusswechsel war der Vormittag friedlich verlaufen, entspannt lehnte der wachhabende Soldat an der Brüstung der Schießscharte. Plötzlich kniff er die Augen zusammen.
«Sie schicken eine Abordnung in die Burg. Diese Bettseicher! Glauben tatsächlich, Widerhold würde aufgeben, nur weil sie ein paar Mal gegen die Mauer gespuckt haben.» Er wandte sich an Matthes. «Ich schätze aber, dich und deinen Burschen sind wir in Kürze los.»
Es war also so weit. Matthes fragte sich, warum er keine Angst verspürte. Er sah zu Agnes, in deren Augen Tränen standen.
«Ich komme mit dir», sagte sie.
«Du bist ja irre. Weißt du, was geschieht, wenn ich dort unten im Lager auftauche? Sie knüpfen mich an den nächstbesten Baum!»
«Dann lass ich dich erst recht nicht allein gehen.»
Matthes biss sich auf die Lippen. «Weiß dein großer Beschützer, was du vorhast?»
«Nein.»
Keine Stunde später kam ein einzelner Reiter den steilen Weg von der unteren Festung heraufgeprescht. Zu ihrer Überraschung war es der Adjutant. Er rief nach Matthes.
«Nun denn», grinste der Turmwächter und schlug Matthes gegen die Schulter, «auf Nimmerwiedersehen.»
Als sie den Burghof betraten, war Sandor abgesessen und blicktesuchend umher. Matthes sah deutlich den Ausdruck von Verlegenheit in seinem Gesicht, als er Agnes entdeckte.
«Agnes, es tut mir Leid. Dein Bruder –» Er brach ab.
Agnes stellte sich vor Matthes. «Ich gehe mit ihm.»
Sandor sah erst sie, dann Matthes verstört an. «Das sagst du nicht im Ernst.»
Matthes stieß ein bitteres Lachen aus.
«Ihr kennt meine Schwester nicht. Sie ist sturer als jeder Maulesel.» Matthes winkte seinen Burschen heran, dann sagte er ruhig und mit eisiger Stimme: «Glaubt nicht, dass mir entgangen sei, was zwischen Euch und meiner Schwester vorgefallen ist. Falls Ihr irgendwas für sie empfindet, haltet sie zurück.»
Doch Sandor hatte längst Agnes’ Hände ergriffen. «Das darfst du nicht tun. Du darfst dich nicht diesem Soldatenpack ausliefern.»
«Warum nicht? Vielleicht bekommt dein Kommandant für mich obendrein noch ein Lösegeld.»
Während der Torwärter Matthes Handfesseln anlegte, hörte er Sandor sagen: «Soll jetzt alles zu Ende sein? Und ich Esel hatte gedacht, du bleibst mir zuliebe auf Hohentwiel.»
«Wenn Gott es fügt, wird er uns zusammenbringen.» Ihre dunkelblauen Augen glänzten. «Doch jetzt bleibt mir keine andere Wahl, als mit meinem Bruder zu gehen.»
«Und wenn sie euch töten? Weil dein Bruder fahnenflüchtig ist?»
Sie gab keine Antwort.
«Gehen wir endlich?», fragte Matthes.
Der Adjutant schluckte. «Gut, ich bringe euch jetzt hinunter. Ich kann nicht verhindern, dass du uns
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