Die Gauklerin
und jeden Samstag kam einer Beförderung gleich: Man entkam für zwei oder drei Stunden der verqualmten Küche und ihremLärm, war unterwegs an der frischen Luft, im schönsten Teil der Stadt, ließ sich Zeit zum Plaudern und Tratschen. Je nachdem, was der herzogliche Garten gerade hergab und was hinzugekauft werden musste, zog ein Trupp von zehn, fünfzehn Mägden und Knechten mit Obermagd und Schreiber zum Marktplatz. Jeder hier riss sich um diese ehrenvolle Aufgabe, auch sie hatte schon wenige Male mitgehen dürfen. Ab jetzt würde sie immer mit von der Partie sein.
Agnes genoss diese Stunden des Einkaufs von ganzem Herzen. Sie war zwar schon öfter über den Schlossplatz und den Marktplatz geschlendert, aber stets in dem Gefühl, es stünde ihr nicht zu, zwischen diesen Palästen bürgerlicher Wohlständigkeit zu wandeln, da ihr angestammter Platz die Gassen der Esslinger Vorstadt waren. Jetzt hingegen trat man zur Seite, wenn sich der herzogliche Küchentross dem Markt näherte, die Bauern und Metzger legten nur die beste Ware, die Händler die erlesensten Spezereien vor.
Fortan wurde Agnes auch bei ihrem täglichen Weg durchs Schloss mutiger und neugieriger. Sie betrat unbekannte Gänge, stieg heimlich eine Treppe hinunter zum Weinkeller, warf Blicke durch halb geöffnete Türen, entdeckte die mit Zinn getäfelte Badestube unweit der Hauptküche, den großen Tanzsaal über den Hofküchen. Dabei wurde der eine Wunsch immer heftiger: Einmal nur den fürstlichen Lustgarten zu besichtigen.
Es war ein frostiger, klarer Morgen Anfang März, und sie hatte sich früher als sonst auf den Weg zur Arbeit gemacht. Im Osten begann der Himmel eben erst rosig aufzuhellen.
Am Vorabend hatte sie endlich den Eltern einen viele Seiten langen Brief geschrieben und ihnen am Ende mitgeteilt, dass sie mit David noch dieses Frühjahr heimkehren werde. Vielleicht hatte dies heute Morgen zu ihrem Entschluss beigetragen, noch vor der Arbeit den berühmten, den verbotenen Garten zu erkunden.
Kurz vor dem Eingang zur Gesindeküche versteckte sie sich ineiner Nische, um Luise und Gerlind unbemerkt an sich vorbeizulassen. Dann nahm sie den Weg zu dem kleinen Innenhof, in dem sich der Brunnen befand. Von dort, dass wusste sie, gab es einen Gang mit einer Nebenpforte, die direkt auf die überdachte Brücke des Schlossgrabens führte. Würde sie zu so früher Stunde und bei dieser Kälte jemandem begegnen? Wohl kaum. Entschlossen drückte sie das Türchen auf und schlich so geräuschlos wie möglich über den Bretterboden der Brücke, bis sie endlich auf einem breiten Kiesweg stand, der am Schlossgraben entlang lief. Womit sie nicht gerechnet hatte: Auf der anderen Seite des Weges verwehrte eine weitere Mauer mit mehreren Toren den Blick auf den Lustgarten. Zögernd näherte sie sich dem Tor, das unmittelbar vor ihr lag. Zu ihrer Überraschung war einer der beiden Türflügel nur angelehnt. Sie gab sich einen Ruck und schlüpfte hindurch.
So unermesslich groß hatte selbst sie sich die Anlage nicht gedacht. Die Mauer, die das Gelände gegen die Außenwelt abschirmte, war weit entfernt und nur an wenigen Stellen zu erkennen, so dicht hatte man die Ränder des Gartens mit Bäumen und Sträuchern bepflanzt.
Ihr Blick schweifte über die großzügig angelegten Blumenrabatten, die von niedrigem Buchs gegliedert waren und durch die in harmonischer Symmetrie Wege aus buntem Kies führten. Selbst zu dieser Jahreszeit wirkte alles weder kahl noch trostlos. Überall entdeckte sie immergrünes Strauchwerk und Büsche, die von weißen Blüten oder leuchtenden Beeren geschmückt waren. Zwischen den Beeten lagen weitläufige Rechtecke aus hellem, glatt gezogenen Sand, der im Morgenlicht schimmerte, in ihrer Mitte und an den Rändern erhoben sich schlanke Säulen. Ob diese Plätze wohl dem Ballspiel oder dem Kunstreiten dienten? Dazu fanden sich die schönsten Springbrunnen, Skulpturen aus Erz und Stein, kunstvoll bemalte Pavillons aus geschnitztem Holz, auch mehrstöckige Gebäude, deren beiden größte die berühmtenLusthäuser sein mussten. Das hintere, das sich etwa in der Mitte des Gartens erhob, war für sich genommen schon ein Schloss, mit hoch aufragenden Giebeln, die reich verziert waren, und mächtigen, frei stehenden Rundtürmen an jeder Ecke, zu denen eine Arkadengalerie führte.
Halbrechts entdeckte sie einen Kreis aus hohen immergrünen Hecken. Das musste einer der Irrgärten sein. Bedächtig, als fürchte sie, aus einem Traum zu
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