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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Meister Gessler und einen Knecht hatten alle längst den Feierabend eingeläutet. Er aber ließ sich davon nicht beirren, denn er wollte sein Gesellenstück bis nächste Woche fertig haben.
    Leise öffnete sich die Tür zur Werkstatt hin, und Gottfried schlüpfte herein.
    «Bist du noch dabei?», flüsterte er, damit die Männer nebenan ihn nicht hören konnten.
    «Dabei?»
    «Bekommst wohl gar nichts mehr mit von der Welt? Überall in der Gegend wird für das neue kaiserliche Heer geworben. Sie sind schon in Wurzach, in Waldsee, sogar drüben in Altdorf.»
    Natürlich hatte Matthes davon gehört. Schließlich sammelte der alte Gessler sämtliche Flugblätter über die «gewaltigste Armierung aller Zeiten» und rieb sich die Hände ob der künftig blühenden Geschäfte.
    Ein neues Kapitel im Krieg gegen die rebellischen Reichsstände hatte begonnen. England, Dänemark und die niederländischen Generalstaaten hatten sich, auf Betreiben des Franzosenkardinals Richelieu, wider den Habsburger Kaiser verbündet. Daraufhin hatte Albrecht Wenzel Eusebius von Wallenstein, Herr über Friedland und reichster Fürst ganz Böhmens, dem Kaiser angeboten, dieser gefährlichen Allianz mit einem Heer von fünfzigtausend Mann entgegenzutreten. Hatte versprochen, damit den protestantischen Eindringlingen im Norden kräftig aufs Haupt zu schlagen.
    Der eigenwillige Friedländer, der sich bereits im Türkenkrieg und im Kampf gegen die Republik Venedig ruhmreich hervorgetan hatte, fühlte sich berufen, aus Deutschland einen einzigen Staat katholischen Glaubens zu schaffen. Seinen Söldnern versprach er ein freies Leben mit hohem Sold, er nahm jeden auf, gleich welchen Standes, gleich welcher Herkunft. Nicht einmal nach der Religion fragte er – nur die Bravour zähle und der Gehorsam gegen den Kaiser.
    All das wusste Matthes nur allzu gut. Es hatte ihn die letzten Wochen umgetrieben und ihm schlaflose Nächte beschert. Der neue Aufruhr, der ganz Deutschland ergriffen hatte, hatteauch in seinem Inneren die leise Glut wieder zu einem Feuer entfacht. Nichts wünschte er sich brennender, als an der Seite von Männern wie Tilly oder Wallenstein für ein geeintes Land zu kämpfen. Nur – warum musste das gerade in diesen Tagen sein, wo er so kurz vor dem Ziel stand? Wo ihm der Meister nur noch Lob zollte für seine Arbeit und ihm selbst sein Vater fast täglich wohlwollend auf die Schulter klopfte? Warum gerade jetzt, wo er erstmals in seinem Leben dabei war, etwas zu Ende zu führen? Unwillig legte er seine Büchse zur Seite.
    «Du solltest dich auch lieber in die Arbeit stürzen, nachdem du deine Gesellenprüfung das letzte Mal so gottserbärmlich verpatzt hast. Es bleibt dir nicht mehr viel Zeit.»
    Gottfried lachte höhnisch.
    «Damit ich vor meinem Vater wieder da stehe wie ein geprügelter Hund? Nein, danke. Da ziehe ich das freie Soldatenleben vor. Was ist, kommst du mit? Gleich morgen früh will ich nach Altdorf.»
    «Nein.» Matthes nahm das Poliertuch in die Hand. «Ich geh hier nicht weg.»
     
    In den nächsten Tagen belauerte ihn Gottfried wie die Katz das Mäuseloch. Ganz offensichtlich reichte die Courage seines Freundes nicht aus, den Schritt vor den Werbetisch allein zu wagen, obgleich sich Gelegenheiten genug geboten hätten. Zwei Tage lang waren die kaiserlichen Werber im benachbarten Flecken Altdorf gewesen, dann drüben vor der Waldburg und sogar einen Tag vor dem Ravensburger Waaghaus, obwohl sich der protestantische Part des Magistrats heftig dagegen gewehrt hatte. Als freie Reichsstadt war Ravensburg indes dem Kaiser verpflichtet, und so hatten die Protestanten nach lautstarken Wortgefechten lediglich erwirken können, dass die kaiserlichen Hauptleute für nur einen Tag statt für zwei ihre Trommeln rühren durften.
    Matthes sorgte sich um seinen Vater, der wie viele andere indiesen Wochen über heftige Kopf- und Gliederschmerzen klagte. Bereits im zweiten Jahr setzte diese launische Witterung den Menschen zu. Matthes konnte sich nicht erinnern, jemals einen so feuchtkalten Mai erlebt zu haben, dabei war der Winter derart mild gewesen, dass die Kirschbäume geblüht hatten, bis eisige Fröste alles zunichte gemacht hatten. Noch keinen einzigen warmen Tag hatte es seither gegeben, und auf den Feldern drohte die zweite schlechte Ernte in Folge. Die Menschen begannen dies als ein Zeichen zu sehen. Hatte nicht im Bistum Bamberg die Erde gebebt, sich ein ganzer Berg erhoben und an anderer Stelle niedergelassen? War nicht

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