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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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in Hamburg eine Springflut über Schiffe und Häuser hinweggerast, um Mensch und Vieh in den Tod zu reißen?
    Auch Matthes sah darin so etwas wie die Vorboten einer schlimmen Zeit, was seine innere Unruhe nur noch verstärkte. Er dachte an seine Schwester Agnes, wie so häufig, seitdem sie Nachricht gegeben hatte, sie wolle in diesem Frühjahr heimkehren, und damit die ganze Familie in Aufregung und nicht zuletzt in ungeduldige Freude versetzt hatte. Was hinderte sie nun? Der Mai war bald vorüber, und er begann sich ernsthaft Sorgen zu machen. Ob ihr unterwegs etwas zugestoßen war? Sie hatte versprochen, sich einer großen Reisegesellschaft anzuschließen, doch selbst das gab in diesen Zeiten, wo ganze Kompanien von Kriegsvölkern durch die Lande zogen, keine allzu große Sicherheit mehr.
    Matthes warf einen Blick zum Fenster. Stürmische Schauer klatschten gegen die Scheiben der Werkstatt. Er beschloss, an diesem Abend eher als sonst nach Hause zu gehen, um nach seinem Vater zu sehen. Seit gestern peinigten Jonas Marx auch noch Schüttelfrost und hohes Fieber.
    Als Matthes die Schwelle seines Elternhauses betrat, stieß er mit dem Stadtarzt Majolis zusammen.
    «Dich wollte ich gerade holen gehen.» Der hagere, grauhaarigeMann blickte ihn ernst an, dann nahm er Matthes’ Hände in die seinen. «Es tut mir von Herzen Leid, Matthes – der Herrgott hat deinen Vater zu sich genommen.»
     
    «Name, Alter, Herkunft?»
    «Matthes Marx, zwanzig Jahre, aus Ravensburg.»
    «Beruf?»
    «Geselle der Büchsenmacherkunst.»
    Die Miene des Schreibers hellte sich auf. «Na, da haben wir ja endlich was Profundes für unser Fähnlein. Nach all den entlaufenen Knechten und Taglöhnern heute. Waffen?»
    «Einen Karabiner.» Nicht ohne Stolz zog Matthes sein Gesellenstück aus der Lederhülle.
    «Dann willst du wohl zu den reitenden Jägern oder den Scharfschützen? Da wollen alle hin.» Der Schreiber grinste. Vor dem Gasthaus Bären, auf einem hübschen Platz im Herzen des Städtchens Tettnang, eben dort, wo sich die Straßen von Ravensburg nach Lindau, von Buchhorn nach Wangen kreuzten, stand sein Schragentisch aufgebaut, und immer noch mehr Burschen und Männer reihten sich ein in die Schlange der Wartenden.
    «Hier, dein Handgeld.» Er reichte Matthes einen Gulden. «Und jetzt abtreten, zum Sammeln.»
    Matthes ging hinüber zu der Gruppe um den Leutnant, der sie zum Musterungsplatz bringen sollte und dessen feuerroter Federbusch am Hut wie ein Signal nach allen Seiten leuchtete. Gottfried stieß ihn in die Seite.
    «Hast du doch tatsächlich die Büchse mitgehen lassen. Wenn das mein Vater wüsste.»
    «Lass mich in Ruhe.» Matthes ließ sich auf das feuchte Kopfsteinpflaster sinken. Ihm schwindelte. Gestern Nachmittag hatten sie den Vater unter die Erde gebracht – noch in derselben Nacht hatte er sein Bündel gepackt, die Gesellenprüfung ein für alle Mal in den Wind geschrieben und war im Morgengrauenzusammen mit Gottfried aus der Stadt geschlichen, ohne von seiner Mutter Abschied zu nehmen. Nur einen langen Brief hatte er ihr hinterlassen, er, dem es sonst so unendlich schwer fiel, eine Feder in die Hand zu nehmen und seine Gedanken in Worte zu fassen.
    Jakob hatte ihn die ganze Nacht angefleht zu bleiben, nach Agnes dürfe nicht auch noch er die Familie im Stich lassen, ihre Mutter würde das nicht überleben. Und dann noch in diesen schmutzigen Krieg, wo er gegen seinesgleichen zu Felde ziehen würde.
    Entrüstet hatte Matthes sich verteidigt, während ihn insgeheim sein schlechtes Gewissen plagte. Das Geschwätz von Anschlägen der Kaiserlichen gegen Glauben und Libertät sei nichts als hinterlistige Verleumdung, ausgestreut von Unruhestiftern und Ausländern, die das stolze Reich plündern wollten. Er sei willens, den Kaiser zu verteidigen, denn wenn das uralte Heilige Reich einstürze, werde es sie alle unter seinen Trümmern begraben. Er war selbst erstaunt über seine flammenden Worte. Vielleicht war es ja doch nicht allein Abenteuerlust, die ihn forttrieb aus diesem engen, vorbestimmten Lebensplan.
    Was er da für hohle Phrasen nachplappere, hatte Jakob ihn angebrüllt und war vollends in Zorn geraten: Wo denn das alte Reich noch heilig sei? Er, Jakob, sehe überall nur Lügen, Falschheit und Dummheit. Und wenn es einstürze, dann möge aus dem Moder endlich etwas Besseres erwachsen!
    Im Morgengrauen schließlich hatte Jakob ihn mit tränennassem Gesicht umarmt und ihm zum Abschied ein Amulett mit einem Marderzahn

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