Die Gauklerin
gesellten sich zu den Männern und Frauen, die zum Lautenklang gerade ein sehnsuchtsvolles Liebeslied schmetterten. Matthes hatte schon den Mund geöffnet, um mitzusingen, da traf es ihn wie ein Keulenschlag: Der da die Laute schlug, war kein anderer als Kaspar Goldkehl. Der Erzschelm, der Schweinehund, der seine Schwester sitzen gelassen hatte!
Ohne auch nur einen Atemzug lang nachzudenken, stürzte sich Matthes auf ihn, entriss ihm die Laute und schlug ihm seine Faust ins Gesicht. Der Lautenspieler fiel mit einem erstickten Aufschrei hintenüber, und Matthes hätte weiter auf ihn eingedroschen,hätten die Umstehenden ihn nicht an beiden Armen festgehalten.
«Ich schlag dich tot, du Dreckskerl!», brüllte Matthes. Dabei zappelte er und hieb um sich wie ein Veitstänzer. Er riss sich los, doch ein derber Tritt in die Kniekehlen ließ ihn niederstürzen.
«Holt die Steckenknechte! Zum Profos mit diesem Verrückten!», ertönte es aus der Menge. Ein Feldweybel bahnte sich den Weg und drehte Matthes den Arm auf den Rücken.
«Schluss mit dem Radau. Wer bist du überhaupt?»
«Matthes Marx, zweites Fähnlein, zweites Regiment.» Matthes hatte Mühe, einigermaßen ruhig zu antworten. «Und dieser Possenreißer da heißt Kaspar und nennt sich Goldkehl, falls er nicht schon wieder einen neuen Namen erfunden hat.»
«Was hast du mit ihm zu schaffen, dass du dich aufführst wie ein Tollhäusler?»
Voller Hass sah Matthes auf den Mann, der sich mühsam aufrappelte und sich die blutende Nase rieb. Ein zwei- oder dreijähriges Kind in geflicktem Rock drängte sich angstvoll an ihn. Jetzt erst entdeckte Matthes auch die junge Frau mit dem Neugeborenen auf dem Arm, die ihn am Arm hielt, und er wurde unsicher. Hatte er sich getäuscht?
«Er hat meine Schwester ins Elend gestürzt. Er hat sie sitzen lassen, kurz vor ihrer Niederkunft», antwortete Matthes, im eisernen Griff des Feldweybels. Ein ungläubiges Murmeln ging durch die Menge. «Zumindest glaube ich, dass er es ist.»
«Glauben kannst du in der Kirche, Bürschchen. Und jetzt gehen wir Meldung erstatten.»
«Ihr könnt den Mann loslassen.» Der Sänger humpelte auf sie zu. «Ich kenne ihn. Ein Missverständnis.»
Fluchend gab der Feldweybel ihn frei und ging seiner Wege.
«Du bist also Matthes.»
Das Gesicht des Sängers wirkte müde und abgezehrt, auf seinerStirn prangte eine fingerlange Narbe. Er fasste Matthes beim Arm. «Lass uns ein Stück gehen, ich will dir alles erklären.»
Der entzog sich dem Griff des anderen mit einer heftigen Bewegung. «Es gibt nichts zu erklären. Du bist ein Schelm, ein beschissener Ehebrecher.»
«Bitte!» Kaspar sah ihn flehentlich an, warf einen Seitenblick auf die junge Frau, die jetzt beide Kinder auf dem Arm hielt und sie voller Unruhe beobachtete, und sagte zu ihr: «Gleich, meine Liebe. Ein Bekannter aus Stuttgarter Tagen.»
Matthes zitterte immer noch vor Wut, als er neben Kaspar den Weg zwischen Karren und Zelten entlangschritt. Er war gezwungen, langsam zu gehen, da der Sänger noch stark humpelte.
«Hör zu, Matthes. Ich habe vieles verkehrt gemacht in meinem Leben», begann Kaspar, «doch am meisten, das musst du mir glauben, am meisten bedaure ich, dass ich Agnes so viel Leid zugefügt habe.»
«Du hast ihr Leben zerstört und das unserer ganzen Familie, und jetzt denkst du, es wär mit ein paar milden Worten getan?», brauste Matthes auf.
«Glaub mir, ich habe das niemals gewollt. Ich geb zu, ich war ein Taugenichts, ich habe Agnes vielleicht sogar benutzt, um von meiner Truppe wegzukommen, weil ich doch so hoch in der Schuld stand beim Prinzipal. Aber dann, in Stuttgart, da habe ich sie wirklich zu lieben begonnen. Und als sie mir eröffnete, dass wir bald ein Kind haben würden, war ich glücklich wie nie.» Er schwieg einen Moment lang. «Ich wollte ihr und unserem Kind etwas anderes bieten, als ewig von der Hand in den Mund zu leben – so fing das mit dem unglückseligen Schwarzhandel an. Alles war gut, bis man uns, meinen Freund Lienhard und mich, eines Tages anzeigte. Da mussten wir schleunigst verschwinden.»
Eher unwillig hörte Matthes ihm zu, wie er von den weiteren Ereignissen erzählte. Wie er mit den Bayerischen mitgezogen war,in dem Glauben, wieder nach Stuttgart zurückkehren zu können, sobald sich dort die Wogen geglättet hätten. Wie er dann in die grausame Schlacht zwischen Tilly und Mansfeld geraten war, in einem Dorf nicht weit von Wiesloch. Der Tross mit den Marketendern und
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