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Die Geächteten

Die Geächteten

Titel: Die Geächteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hillary Jordan
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löste sich in Staub auf. »Ich weiß.«
    »Wenn du nur mit uns reden würdest, Hannah. Sag uns einfach …«
    Sie schnitt ihm das Wort ab. »Ich kann es nicht. Ich möchte es nicht.« Es kam schrill und trotzig aus ihr heraus. In sanfterem Ton fügte sie hinzu: »Auch wenn ich es erzählen würde, es würde niemandem helfen.«
    Ihr Vater hatte das Lenkrad so fest umklammert, dass seine Knöchel weiß waren. »Mir würde es helfen, den Schweinehund aufzuspüren, um die Lebenslichter aus ihm herauszuschlagen.«
    »Vorsicht. Sie kommen von der Fahrspur ab«, sagte die angenehme Stimme des Computers. Das Lenkrad glitt unter der Hand ihres Vaters leicht nach links, während er ein Geräusch von sich gab, das seinen Verdruss zum Ausdruck brachte.
    Hannah sah auf das halb aufgegessene Sandwich in ihrem Schoß, sie hatte keinen Appetit mehr. »Es tut mir leid, Daddy«, sagte sie. Ihre Entschuldigung hörte sich für ihr Ohr wie auswendig gelernt an, ein sterbendes Echo, das sich zu weit von seiner ursprünglichen Quelle entfernt und durch das ewige Wiederholen seine eigentliche Bedeutung nahezu verloren hatte. Sie hatte solche Worte so oft gesagt – zu ihm, zu Becca, zu ihrer Mutter, zum Geist ihres Kindes, zu Gott –, und sie wusste, dass das nicht genug war und niemals genug sein würde. Trotzdem fühlte sie sich gezwungen, es immer und immer wieder zu sagen. Aus ihrem Leben war eine apologetische Konjugation geworden: Ich habe bedauert, ich bedaure, ich werde bedauern, ohne Hoffnung auf eine Zukunft, ein Ich werde es bedauert haben.
    Ihr Vater atmete tief aus, und sein Körper entspannte sich ein wenig. »Ich weiß.«
    »Wohin bringst du mich?«, fragte sie.
    »In Richardson gibt es einen Ort, der von der Auferstehungskirche betreut wird. Er nennt sich das Zentrum des Geraden Weges.«
    Hannah schüttelte den Kopf; davon hatte sie noch nichts gehört.
    »Es ist eine Art Resozialisierungseinrichtung für Frauen wie dich. Du kannst dort sechs Monate bleiben, wenn es gut läuft. Auf diese Weise haben wir Zeit, für dich einen Job zu finden und einen sicheren Ort, an dem du leben kannst.«
    Das »wir«, beruhigte sie, und die Tatsache, dass das Zentrum in Richardson war, südlich von Plano. »Wenn du sagst, Frauen wie ich …«
    »Rote, die nicht gewalttätig sind, aber auch Gelbe und Orangefarbene. Sie akzeptieren keine Blauen, Grünen oder Violetten. Dann hätte ich dich unter keinen Umständen dorthin gebracht.
    »Hast du das Zentrum gesehen?«
    »Nein, aber ich habe mit dem Direktor, Pastor Henley, gesprochen. Er hat auf mich den Eindruck eines aufrichtigen und mitfühlenden Mannes gemacht. Ich weiß, dass er vielen Frauen geholfen hat, wieder zu Gott zu finden.«
    Zurück zu Gott . Diese Worte entfachten in ihr ein loderndes Verlangen, das von ihrer Verzweiflung unmittelbar wieder unterdrückt wurde. Sie hatte im Gefängnis jeden Tag zu Ihm gebetet, vor und während der Gerichtsverhandlung, sie hatte auf dem harten Boden ihrer Zelle gekniet, bis ihre Knie vor Schmerz pochten, sie hatte ihn um Vergebung und um Gnade angefleht. Doch Er war still geblieben, als hätte er zuvor in ihrem Leben keine Rolle gespielt. Mit jedem weiteren Tag hatte sich Hannah einsamer gefühlt, wie ein verlassenes Haus, das dem Verfall preisgegeben ist und durch dessen Ritzen der kalte Wind weht. An dem Tag schließlich, an dem sie verurteilt und in die Chrom-Station gebracht wurde, hatte sie die unausweichliche Wahrheit akzeptiert: Für sie würde es keine Vergebung und keine Gnade geben, kein Zurück zu Ihm. Wie auch, nach dem, was sie getan hatte?
    »Du musst aber wissen«, fuhr ihr Vater fort, »dass das keine Ferien-Bibelschule ist. Es gibt strenge Regeln dort. Wer gegen sie verstößt, fliegt raus. Und dann helfe dir Gott, Hannah. Wir können es uns nicht leisten, einen Platz nur für dich zu bezahlen, selbst wenn deine Mutter mich bezahlen lassen würde.«
    »Ich weiß, Daddy. Ich würde das auch nicht von euch erwarten.« Sie hatten nichts geerbt, und das Einkommen ihres Vaters war bescheiden. Jetzt kam es ihr in den Sinn, dass ohne ihr Einkommen ihre Eltern aller Wahrscheinlichkeit nach sehr viel genügsamer leben mussten – eine weitere Sache, für die sie sich Vorwürfe machte. »Aber wer bezahlt das Zentrum?«
    »Das 1. KM. Pastor Dale hat den Rat persönlich darum gebeten.«
    Die Scham brannte in ihr, und ihre Gefühle spiegelten sich im Gesicht ihres Vaters. Hannah und im weiteren Sinne die Payne-Familie waren jetzt ein Fall für

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