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Die Geächteten

Die Geächteten

Titel: Die Geächteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hillary Jordan
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fast aus. »Wenn du glaubst, ich reiße mich darum, auch nur eine einzige Minute mit einer wie dir zu verbringen, dann irrst du dich.«
    Die Demütigungen des Tages, große und kleine, verschmolzen in Hannahs Brust und bildeten einen gewaltigen Knoten der Wut. Als Bridget sich abwenden wollte, packte Hannah ihre Hand und hielt sie mit ihrer eigenen auf Augenhöhe: Rot auf Rot. »Ich sehe keinerlei Unterschied zwischen uns«, sagte sie. »Wir beide haben getötet, oder nicht? Wen hast du getötet, Bridget?«
    Bridget riss ihre Hand aus Hannahs Griff und zog sie zurück, als wollte sie Hannah schlagen. Hannah bewegte sich nicht, beobachtete die Emotionen, die über Bridgets Gesicht jagten und in ihren Augen zu lesen waren, genauso offenkundig, als hätte die andere Frau sich ihr anvertraut, ihr vom schrecklichen Schmerz erzählt, der hinter der Gräueltat verborgen lag. Plötzlich tat sie Hannah leid, diese Stachel zeigende, gepeinigte Frau im mittleren Alter. Ihr fiel ein, wie sie sich selbst noch vor einigen Stunden gefürchtet hatte, als sie sicher im Auto ihres Vaters gesessen und der Junge sie verspottet hatte. Und sie dachte an das, was sie erwarten würde, wenn sie als Verchromte in die Welt der anderen zurückkehren würde.
    Doch als Hannah sich gerade entschuldigen wollte, schien Bridget sich wieder gefangen zu haben. Sie hatte die Hand sinken lassen, und ihr Gesicht zeigte wieder die Maske kalter Gleichgültigkeit. »Du hast gerade den Weg verlassen, Wanderin. Wie bedauernswert!«
    »Wovon sprichst du?«, fragte Hannah.
    »Man legt keine Hand an eine andere Wanderin. Das ist eine der Regeln.«
    »Das hast du mir nicht gesagt.«
    Bridget hob scheinbar bestürzt die Augenbrauen. »Oh, ich bin mir ganz sicher, dass ich es gesagt habe. Ich kann nicht umhin, Mrs. Henley darüber Bericht zu erstatten.«
    Das wäre allerdings kein guter Anfang für das Leben hier. »Schau«, sagte Hannah in einem versöhnlichen Ton, »es tut mir leid, dass ich dich angefahren habe. Es war für mich ein harter Tag.«
    »Du denkst, das sei hart? Das ist nichts verglichen mit dem, was dich draußen erwartet, wenn du ganz allein bist. Nichts .« Bei diesem Wort versagte Bridgets Stimme. Abrupt wandte sie sich von Hannah ab und lief den Flur hinunter.
    »Was ist mit dir?«, rief Hannah ihr leise hinterher. Ohne anzuhalten oder sich umzudrehen, rief Bridget: »Wenn sie dich hier rauswerfen, wirst du erfahren, was wirklich hart ist.« Sie ging die Treppe hinab, die zum Schlafsaal führte. Hannah stand da und sah ihr nach. Sie wusste, sie hatte keine andere Wahl. Sie musste ihr folgen.

 
    DIE ERSCHÖPFUNG BESIEGTE DAS GEFÜHL DER FREMDE in der neuen Umgebung, und in dieser ersten Nacht schlief Hannah tief und fest. Sie wachte erst auf, als die Lichter um fünf Uhr dreißig angingen und sie benommen blinzeln ließen. Einige wenige furchtbare Minuten lang dachte sie, sie sei in der Chrom-Station, doch dann hörte sie neben sich das Quietschen von Bettfedern. Sie vernahm die kleinen Seufzer und das Stöhnen anderer Frauen, die unfreiwillig aus dem Schlaf gerissen worden waren. Langsam kehrte ihre Erinnerung zurück. Sie wusste, dass sie aufstehen musste, doch ihre Glieder waren schwer wie Blei. Das Plätschern des fließenden Wassers und das weiche Brummen der Frauenstimmen waren angenehm und beschwichtigend. Ihre Augen waren kurz davor, wieder zuzufallen, als an ihrem Bett gerüttelt wurde.
    »Wach auf«, flüsterte jemand laut. Hannah machte die Augen auf und sah Kayla am Fußende ihres Bettes stehen. »Fridget wacht über uns. Nun komm schon hoch.« Sie wandte sich ab, um ins Badezimmer zu gehen.
    Hannah zwang sich in eine vertikale Position, sprang aus dem Bett und sammelte ihre dürftigen Toilettenartikel zusammen.
    Das Bad war überfüllt. Die roten Gesichter der Frauen hoben sich vom strahlenden Weiß der Wände, der Nachthemden und Hauben deutlich ab. Eine Gruppe von Frauen grüßte sie mit einem angedeuteten Nicken, und Megan lächelte sie schüchtern an. Doch die meisten anderen Frauen, die mit ihrer Toilette beschäftigt waren, ignorierten sie. Hannah putzte ihre Zähne und rollte ihren Zopf zu einem Knoten. So gut sie konnte, steckte sie ihn fest. Vor den Toiletten und den Duschen hatten sich Schlangen gebildet. Als sie endlich an der Reihe war, war das Wasser nur noch lauwarm. Sie musste sich beeilen, um rechtzeitig zum Frühstück zu kommen. Es fühlte sich gut an, sauber zu sein und die letzten Reste der Chrom-Station

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