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Die Gebeine von Avalon

Die Gebeine von Avalon

Titel: Die Gebeine von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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Stimme aus dem Sessel beim Fenster, «Ihr wolltet vielleicht sichergehen, dass ich am Ende nicht doch so etwas wie eine dritte Brustwarze besitze.»
    Sie trug ihr blaues Überkleid, und das Haar fiel ihr auf die Schultern. Im Kerzenschein hatten die Buntglasscheiben des unteren Fensters die Farbe von getrocknetem Schlamm.
    «An der ich meine teuflischen Hilfsgeister säuge?», fügte sie hinzu. «Gibt ja Leute, die das behaupten …»
    «Ja», antwortete ich. «Davon habe ich gehört … ich meine … welchen Zwecken ein solches Hexenmal angeblich dienen soll.»
    Ich rang nach Atem und trat aus dem Lichtschein der Kerzen.
    Für den Fall, dass Ihr danach zu fragen gedenkt: Seit ich dem Säuglingsalter entwachsen war, hatte es nur noch eine Frau gegeben, die ihre Brust für mich entblößte.
    Mistress Borrow lächelte abwesend.
    «Ach ja, natürlich – gelesen hat er davon», murmelte sie, als spräche sie nur zu sich selbst. «Er kennt so was aus seinen Büchern.»
    Mit zitternder Hand hielt ich mein altes braunes Gewand zusammen. Seit Fyche uns auf dem Tor unterbrochen und sie eine Hexe genannt hatte, hatten wir nicht mehr miteinander sprechen können. Es schien, als würde sie nun genau dort wieder anknüpfen, um das unterbrochene Gespräch fortzusetzen, als zöge sie mit geometrischer Präzision eine Linie zwischen jenem vergangenen Zeitpunkt und dem jetzigen Augenblick, und …
    …
also gut …
es war eine Schwester der Venus, wenn Ihr es genau wissen wollt. Es geschah an einem jener seltenen Abende, an denen ich zu viel getrunken hatte, nur um meinen Mitstudenten in Cambridge einmal näher zu sein, die alle älter waren als ich. Ich hingegen war noch ganz grün hinter den Ohren, war deshalb furchtbar eingeschüchtert und stellte mich ungeschickt an, sodass ich nicht … Mein Gott, was hat diese Frau gelacht, ein so kaltes und hartes Gelächter, dass es von den Wänden der Gasse hallte wie der Meißel eines Steinmetzen.
    Eine sehr bittere Erinnerung, die mich sicherlich in meiner Entwicklung zum Manne gehemmt hatte.
    «Ihr wisst doch, dass sie nach Euch suchen …?», fragte ich.
    Heiser hervorgebrachte Worte, wie das leise Schaben einer Ratte. Und im selben Augenblick, da mir das Blut wieder ins Gesicht schoss, wurde die Kammer auch noch vom grausamen Licht eines Blitzes erhellt.
    «Ich versuche, mich durch solche Ablenkungen nicht in meiner Arbeit stören zu lassen. Bei welcher es, wie Ihr wisst, oftmals um Leben oder Tod geht», sagte sie beinahe forsch. «Ich bitte um Vergebung, Dr. John, wenn mein Besuch Euch Unbehagen bereitet, aber für mich ist das Schlafgemach eines Mannes … nun, ich habe eben schon einige gesehen.»
    Der Donner ließ die Fensterscheiben erzittern.
    «In meiner Eigenschaft als Doktor», fügte sie hinzu. «Großer Gott, wer hätte gedacht, dass die Nacht sich so entwickelt.»
    Sie ließ eine Hand oberhalb ihrer Brust ruhen, als würde sie das beruhigen, und in Gedanken fiel ich noch einmal taumelnd auf dem grünen Hang des Tor zu Boden, Himmel und Hügel wirbelten um mich wie Kaskaden von Spielkarten, und ich rief wieder:
Eleanor …
    …
Nel …
    Großer Gott, wie zerbrechlich sie dort drüben wirkte, mit ihren schmalen Schultern, den niedergeschlagenen Augen, so sittsam, das lange Haar über ihren Wangen.
    «Nun, eigentlich bin ich ja hier, um mich nach dem Befinden Eures Freundes zu erkundigen», sagte sie dann. «Ich dachte mir, es wäre besser, wenn ich zuerst Euch aufsuche. Und da die Tür offen stand …» Sie sah mich an. Ihre Haut schimmerte weiß-golden im Kerzenlicht. «Wie geht es ihm?»
    «Er schläft», sagte ich. «Körperlich geht es ihm besser, sehr viel besser als gestern noch. Habt Dank. Aber die Ermordung seines Bediensteten hat ihn sehr mitgenommen.»
    «Ja, das war –»
    Sie verstummte. Nur Sekunden nach dem Donnerschlag ließ ein weiterer Blitz es hinter den Fenstern taghell werden. Und in dem Moment, als sie in dieser Lichtexplosion zusammenzuckte, entdeckte ich in ihren Augen das, was ihre Stimme so gut zu verbergen vermochte.
    Die Stimme eines Doktors war darin geschult, Ängste zu vertreiben, ob nun die von anderen oder die eigenen. Doch diese grünen Augen … in diesem Moment hatten sie auf mich gewirkt wie die eines verängstigten Tieres in einem Wald voller wilder Bestien. Nun war ich beruhigt, denn solche Augen waren ganz sicher nicht die Augen einer Hexe.
    Die Kammer lag wieder im Dunkeln. Mochte es sein, dass sie keinen anderen Ort

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