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Die Gebeine von Avalon

Die Gebeine von Avalon

Titel: Die Gebeine von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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also noch einmal, was wirst du tun?»
    Der Gedanke, das alles einfach hinter mir zu lassen … kam mir nicht in den Sinn. Als ich zum ersten Mal spürte, dass etwas von der Kraft dieses Ortes in mein Innerstes gedrungen war, ahnte ich noch nicht, wie sehr es mein ganzes Sein verändern würde.
    «Meine Mutter und mein Vater waren überglücklich, als ich mit meinem Doktortitel der Rechtswissenschaft heimkam», erzählte ich mit tonloser Stimme. «Sie dachten, ich würde nun alles andere vergessen. Dass ich endlich zur Vernunft gekommen sei. Einem einträglichen Erwerb nachgehen werde.»
    «Als man dich wegen Schadenszauber gegen Maria anklagte, hast du dich mehr als nur anständig geschlagen», warf Dudley ein. «Wie man sagt, hast du vor den härtesten Richtern des ganzen Landes eine außergewöhnliche Eloquenz bewiesen.»
    «Und vor Bonner, der selbst einmal Anwalt gewesen ist.»
    «Dieser Mann ist ein solcher Schweinehund», ereiferte sich Dudley.
    «Manchmal.»
    «Und doch hast du diesen Bastard irgendwie überlistet.» Er lehnte sich mit dem Rücken an den wackeligen Bettpfosten. «Willst du damit sagen, dass du sie als Advokat vertreten willst?»
    «Wenn sie mich … akzeptiert.»
    «Ich nehme an, sie weiß, wer du wirklich bist.»
    «Mhm.»
    «Und Fyche?»
    «Das ist unwahrscheinlich.»
    «Du bewegst dich immer noch auf Messers Schneide, John.»
    «Vielleicht wird sich das auch nie ändern.»
    Im Zimmer war es düster geworden, obwohl es eigentlich erst nach drei Uhr war. Bisher hatten weder er noch ich etwas gegessen, und ich erinnerte mich daran, wie er am Nachmittag von Mariä Lichtmess gesagt hatte, dass jede große Aufgabe mit Beten und Fasten begann.
    Er erhob sich und stellte sich mit dem Rücken vors Fenster, und mir wurde bewusst, dass auch ihn etwas verändert hatte. Sein Haar und sein Bart waren wie üblich frisiert, aber die alte Arroganz war verschwunden. Seine Arme in den dunkelgrünen Ärmeln hingen schlaff herab.
    «Als du losgegangen bist, um Doktor Borrow zu suchen, konnte ich nicht bei Martin bleiben. Nicht nach dem, was man ihm angetan hatte, während ich nutzlos herumlag. Ich ging hinaus zu den Toren der Abtei, um dort auf dich zu warten. Und da hörte ich den Tumult und konnte nichts tun, als dazustehen und zuzuschauen. Ich sah, wie man sie durch die Stadt führte.»
    «Nel?»
    Unwillkürlich ballte ich die Fäuste
    «Es müssen insgesamt neun gewesen sein», fuhr Dudley fort. «Sie hatten sie in Ketten gelegt. Es herrschte eine Stimmung wie … bei einem Volksfest. Aus dem Nichts hatte sich eine Meute gebildet. Männer johlten, und Frauen warfen verfaulte Äpfel nach ihr.
Mörderin
und
Hexe
schrie man ihr nach. Tja, wenn du einem Haufen ungebildeter Bauern erzählst, das hier ist eine Mörderin, eine Hexe … Niemand stellt das in Frage, selbst wenn es die eigene Schwester wäre. Das habe ich schon oft erlebt.»
    Ich schloss meine Augen und sah es vor mir. Ich zwang mich dazu, mir diese Prozession vorzustellen.
    «Sie trug keine Haube, und ihr Kleid war an einer Schulter zerrissen und fast bis zur Brust herabgezerrt worden. Dennoch bewegte sie sich … voller Würde. Na ja, so würdevoll, wie man sich in Ketten eben bewegen kann. Sie hatte das Haupt erhoben und sah weder zur einen noch zur anderen Seite. Trotzdem … führten sie sich auf, als könnte sie jederzeit die Flucht ergreifen. Und sie hörten nicht auf, sie zu betatschen –»
    «Nein …»
    «Männer bleiben Männer», stellte Dudley fest. «Ganz besonders außerhalb Londons.»
    Alle Muskeln in meinem Körper verkrampften sich. Als ich meine Augen wieder öffnete, starrte Dudley auf die Holzdielen des Fußbodens.
    «Sag mir, John … habe ich über Amy gesprochen?»
    «Du sprichst oft über Amy.»
    Das stimmte nicht.
    «Im Fieberwahn meine ich.» Er hob den Blick, in dem nun keine Anzeichen vom Fieber mehr zu sehen waren. «Mir ist, als hätte ich über Amy gesprochen, aber ich weiß nicht, ob das nur der Traum eines Kranken war … oder ob ich dir bestimmte Dinge erzählt habe.»
    Es herrschte Totenstille im Zimmer, sogar draußen auf der Straße war alles ruhig. Aber es war eine Stille, die zum Himmel schrie wie ein Hund, der den Mond anheult.
    «Das muss ein Traum gewesen sein», sagte ich knapp. «Ich kann mich an so etwas nicht erinnern.»
     
    †
     
    Es war alles gesagt. Dudley und ich gingen in die Schankstube und ließen uns vom Küchenmädchen Brot und Käse auftischen. Von Cowdray gab es keine Spur, und

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