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Die Gebeine von Avalon

Die Gebeine von Avalon

Titel: Die Gebeine von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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wusste, wer er war. Jemanden wie ihn hatte ich noch nie getroffen. Er war ein Mann, der niemals in den Tiefen seiner Träume nach einer höheren Bedeutung suchen würde oder danach strebte, die Dimensionen des Universums zu vermessen. Für ihn spielte das Reich des Verborgenen keinerlei Rolle, denn seiner Meinung nach existierte es nicht. Also gab es auch nichts zu verbergen.
    Wenn er keine Gottesfurcht kannte, dann hatte er vor nichts Angst. Seine Seelenruhe war bemerkenswert.
    Natürlich musste er vor Zorn rasend gewesen sein, als Fyches Häscher seine Tochter verhaftet hatten. Er hatte sich ohne Rücksicht auf Verluste mit ihnen geschlagen und war übel verprügelt worden. Und dennoch versuchte er jetzt nicht mehr, Nel zu sehen? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Doch was immer er vorhatte, er wollte nicht, dass ich mich einmischte.
    Wusste er vielleicht, wer ich war?
Was
ich war?
    Ein Mann, der Gottes Geist zu ergründen suchte … es gab wohl kaum jemanden, der in den Augen eines Atheisten mehr Verachtung verdiente. In sorgenvolle Gedanken versunken, ging ich an St. Benignus vorüber – es war wohl Ironie des Schicksals, dass Matthew Borrow, der weder Gott liebte noch den Teufel fürchtete, ausgerechnet gegenüber einer Kirche wohnte. Sprach das in diesem brodelnden Kessel gegensätzlicher Glaubensbekenntnisse nicht für eine gewisse Reinheit?
    Der Gedanke schockierte mich so sehr, dass ich zu rennen anfing, und als ich um die Ecke bog, wäre ich beinahe mit dem schlanken Mann zusammengestoßen, der den Hügel vom Gasthof herabgeschritten kam.
    «John … wo zur Hölle hast du gesteckt?»
    «Allmächtiger, Dudley … Hast du sie gefunden?»
    Ich taumelte rückwärts und lehnte mich keuchend an die Kirchenmauer. Zwei zerzauste Kinder auf der anderen Seite sprangen auf und rannten lachend davon. In der Luft lag der Geruch von frischer Scheiße.
    «Was ist mit deinem Gesicht passiert?», wollte Dudley wissen.
    «Das spielt jetzt keine Rolle.» Ich zeigte ihm das Glas mit der Salbe. «Der Doktor hat mir das hier dafür gegeben.»
    «Ihr Vater?»
    «Sie will nicht mit mir sprechen», berichtete ich ihm. «Sie will mich nicht einmal sehen. Sie will niemanden sehen. Hast du mit der Frau aus Butleigh gesprochen? Wird sie zur Gerichtsverhandlung kommen?»
    «John …»
    «Du hast sie doch
gefunden

    «Komm mit», sagte Dudley knapp.
    «Was ist los?»
    «Wir gehen zum Doktor. Er muss mir ein paar Fragen beantworten.»
    «Verflucht nochmal!» Ich warf meinen Kopf in den Nacken, sah hinauf zum Himmel, wo grünliche Wolken vom Meer heranwehten und von Möwenschreien begleitet wurden, und schleuderte ihnen meine Worte entgegen:
«Hast du sie gefunden oder nicht?»
    Eine Frau mit einem Korb voller Eier wechselte die Straßenseite und trippelte eilig davon. Dudley war weiter den Hügel hinabmarschiert, und ich schloss wieder zu ihm auf.
    «
Sag
es mir.»
    «Ich habe dort mit einigen Leute gesprochen … insbesondere mit dem Schmied, dem ich seine Aufrichtigkeit mit einigen Münzen entlohnte. Von ihm habe ich auch erfahren, dass es im ganzen letzten Jahr nicht eine einzige Zwillingsgeburt in Butleigh gegeben hat. Keine Zwillinge. Und wo wir grade dabei sind – auch in den letzten zehn Jahre sind dort keine Zwillinge mehr geboren worden.»
    Ich stellte mich vor ihn und zwang ihn anzuhalten. Bittere Galle stieg in mir auf.
    «Und nur weil ein einziger Mann das gesagt hat, glaubst du es?»
    «So
hör
mir doch
zu
! Es hat dort seit über einem Monat keine Geburt mehr gegeben. Bastarde
mit eingerechnet
. Das hat auch der Pfarrer bestätigt und gleichzeitig noch einmal gesagt, dass er sich nicht daran erinnern kann, wann überhaupt das letzte Mal ein Kind aus dem Bauch geholt werden musste.»
    Dudleys Augen funkelten zornig.
    «Kommst du
jetzt
mit zu dem verdammten Doktor?»

XL Ein anderer Kanon
    N ur damit wir uns nicht missverstehen – Robert Dudley war nicht so wie Carew. Trotz seiner Arroganz war mein Freund ein gebildeter Mensch mit scharfem Verstand, der stets nach der Wahrheit suchte. Aber er war auch noch ein junger Mann, unbesonnen eben, und besaß dazu den Mut eines Soldaten. Und so kam es durchaus vor, dass er jeden vernünftigen Gedanken beiseiteschob. Wenn seine Hand dann vor Zorn bebend zum Griff des Schwerts fuhr, konnte man spüren, wie die Luft um ihn zu brennen schien.
    «Diese Messer …»
    Er stand in Borrows Türrahmen, seine Stimme klirrte vor Eiseskälte, und mit seinen breiten Schultern

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