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Die Gebeine von Avalon

Die Gebeine von Avalon

Titel: Die Gebeine von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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Vernunft an.»
    «Ihr seid ein Atheist.»
    «Bin ich denn wirklich der Einzige, der erkennt, dass die größten menschlichen Errungenschaften immer durch den Willen eines einzelnen Individuums entstanden sind? Wo es doch offensichtlich ist, dass das Papsttum selbst, die stärkste religiöse Festung, die die Welt je gesehen hat, nicht etwa durch eine aufkommende Geisteshaltung aus dem Land verdrängt wurde, sondern … sondern durch die fleischlichen Begierden eines einzelnen Mannes?»
    Er musste selbst über die Widersinnigkeit schmunzeln. Derartige Vorträge hatte ich natürlich schon in abgedunkelten Räumen in Cambridge oder Louvain gehört, aber üblicherweise hielten sie einem dort junge, leicht erregbare Männer.
    «Damit ich das richtig verstehe», begann ich. «Ihr hättet vor dem Gericht die Stimme erhoben und gesagt, dass es keine Hexerei geben könne, da es keinen Gott gebe, folglich auch keinen Satan und somit …?»
    «Ich schätze sonst ein ruhiges Leben.» Er zuckte mit den Schultern. «Aber ich hätte es getan.»
    «Wusste Eure Frau davon?»
    «Sie kannte meine Ansichten.»
    «Aber Ihr geht doch in die Kirche.»
    «Weil das Gesetz es so will.»
    «Aber wie könnt Ihr … ich meine, in dieser Stadt …»
    «Wie ich in einer Stadt wie Glastonbury leben und arbeiten kann? Ganz einfach, ich wurde hier geboren. Dass sich die meisten Einwohner hier nicht auf einen Glauben einigen können, scheint mir die Dummheit der Religion noch besonders herauszustellen.»
    «Aber Eure Frau …»
    «Ich fürchte, sie war leider das beste Beispiel für Menschen, die alle zwei Tage an etwas Neues glauben. Ich habe sie damit aufgezogen, muss ich gestehen. Ständig war sie auf der Suche nach einer Heilung für dieses, einem Mittel für jenes – und oft durchaus erfolgreich, das soll nicht verschwiegen werden. Wenn sie nur mehr aus ihrem unbestrittenen Talent gemacht und nicht so gern von einem goldenen Zeitalter geträumt hätte, das es nicht wieder geben wird, weil es nie existiert hat …» Er unterbrach sich und blickte mich sorgenvoll an. «Ihr habt sicher nicht von mir erwartet, dass ich schlecht über sie rede.»
    Wir schwiegen. Borrow nahm einige Gefäße vom Regal und hielt sie gegens Licht. Ich musste an Nel denken und daran, wie es wohl für sie gewesen sein mochte, mit zwei so gegensätzlichen Überzeugungen aufzuwachsen.
    «Um Eure unausgesprochene Frage zu beantworten, unser gemeinsamer Glaube an die Heilkunst sorgte am Ende immer wieder für Frieden zwischen uns», sagte er schließlich.
    «Und wie geht es Euch jetzt?»
    Er atmete langsam tief ein und wieder aus. Tobte in ihm ein innerer Kampf? Ich vermochte es nicht zu sagen. Ich hatte zahllose Menschen getroffen, deren Ehegatten oder Eltern durch eine Exekution ums Leben gekommen waren, von Dudley und der Königin einmal ganz abgesehen, und viele von ihnen hatten genauso ruhig gewirkt wie Borrow. Entweder war das ein Zeichen dafür, dass sie sich damit abgefunden hatten, oder …
    Dr. Borrow widmete sich wieder seinen Heilmitteln und schien darüber alles andere zu vergessen. Er öffnete ein kleines Gefäß und rührte den Inhalt mit einem spitz zulaufenden Holzstab um. Irgendetwas an ihm … erinnerte mich an Monger, nur dass es bei dem ausgeprägter war. Die Mentalität eines Priesters. Und das bei einem Atheisten. Als würde ihm sein Atheismus eine Gewissheit geben, aus der er schöpfen konnte wie andere aus ihrem Vertrauen auf Gott und die Kirche.
    «Ihr wisst, dass sie in dieser Sache unschuldig ist.» Ich erhob mich. «Und wenn Ihr nicht daran glaubt, dass sie durch Gebete oder Gott gerettet werden kann … was soll sie dann vor dem Galgen bewahren?»
    Er stellte das Gefäß ab und schob es zu mir herüber.
    «Es enthält Schafgarbe und Kamille. Vermischt es mit kaltem Wasser, tränkt ein Tuch darin und haltet es an die Stelle, wo es wehtut.»
    «Ich –»
    «Für Euer Gesicht», sagte er. «Nehmt es und bezahlt mich, wenn es gewirkt hat.»
    «Habt Dank.»
    Er machte eine wegwerfende Handbewegung.
    «Und in Zukunft», sagte er und klang dabei fast freundlich, «solltet Ihr achtgeben, wo Ihr hintretet.»
     
    †
     
    Aber für meine Seele gab es keinen Balsam. Als ich die fünf Stufen zur Tür des Behandlungszimmers hinabstieg, war ich noch besorgter als zuvor.
    Es war unmöglich, etwas aus Matthew Borrows Gesicht herauszulesen – es hatte noch nichts vom Antlitz eines alten Mannes, besaß aber die reife Ausstrahlung eines Menschen, der

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