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Die Gebeine von Avalon

Die Gebeine von Avalon

Titel: Die Gebeine von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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du.»
     
    †
     
    Ich habe ihr Gesicht nur einmal angeschaut.
    Der Geruch wirkte … nach der langen Zeit eher süßlich als verfault. Dennoch versuchte ich ausschließlich durch den Mund zu atmen. Das Glas der Laterne war von Feuchtigkeit beschlagen. Ihr Schein war wie der eines kleinen, wolkenverhangenen Mondes. Oder wie ein Nachtlicht neben dem Bett.
    Schmal und gekrümmt lag sie in ihr Leichentuch gehüllt vor mir.
    Was jetzt?
    Ich hatte Borrow natürlich nicht danach fragen können.
Wo sind sie? Hält sie sie an die Brust gedrückt?
    Das war die naheliegendste Möglichkeit. Ich hielt die Laterne näher dorthin, wo ich ihre Brust vermutete, aber ihre Hände waren zur Seite gefallen, nur verrottete Haut und Knochen und sonst nichts außer durchnässtem Leinen. Es war überzogen mit einem glitzernden Schleim, der aussah wie das herausgequollene Mus von Fallobst.
    Was hatte ich erwartet? Guinevere? Die nur noch dünne Knochen und eine Locke goldenen Haares war, das bei der ersten Berührung zu Staub zerfiel?
    Ihre Augen, die grün gewesen sein mochten, gab es nicht mehr, der Kiefer war abgefallen, und die Zähne waren voller schwarzer Löcher. Und dann war plötzlich alles schwarz.
    «Hast du es gesehen?», rief Dudley.
    «Die Laterne ist erloschen. Das Licht ist ausgegangen.»
    «
Ich
habe etwas gesehen. Ich glaube, es ist unter … ich glaube, ihr Kopf liegt darauf, wie auf einem Kissen.»
    «Bist du sicher?»
    «Nein, aber um es herauszufinden, musst du ihren Kopf hochheben.»
    «Ich kann ihn nicht einmal sehen.»
    «Vielleicht … ist das auch besser so. Ich mache es, wenn du –»
    «Nein … nein …»
    Ich atmete ein paarmal tief durch. Mir fielen die erschreckten Reaktionen der Leute wieder ein, als ich die Wachsfigur aus dem Sarg neben der Themse gehoben hatte.
    Dr. Dee, die Autorität für das Reich des Unbekannten. Mein Gott …
    Ich schloss die Augen, als wenn es dadurch besser würde. Aber was es mir brachte, in einem Moment voller Herrlichkeit und Kummer, war eine Erinnerung, die mir seit der Nacht des Sturmes verloren gegangen war. Die Momente, die auf den Strom des weißen Lichtes gefolgt waren. Die Erinnerung an den Sonnenaufgang in meinem Herzen und wie Nel Borrow in meinem Arm gelegen hatte. Der Zauberer und die Hexe, Zwillingsseelen.
    Mehr als Liebe.
Mir blutete das Herz.
    «John, bist du –?»
    «Ja», rief ich. «Ich bin dabei.»
    Ich ließ meine Hände auf ihr Haar sinken, das nicht zerfiel, sondern sich nur ölig um meine Finger kräuselte. Die feuchte, verfaulte Haut, aus der es gesprossen war, löste sich in schleimigen Stücken ab, und dann versanken meine Finger in den Löchern, wo einst die Augen gewesen waren. Augen, die während einer Hinrichtung durch den Strang zum letzen Mal das Sonnenlicht gesehen hatten.
    Wenn sie dürr sind, halten sie eine ganze Weile durch.
    Als ich ihren Kopf anhob, knackte ein Knochen, und obwohl es nur leise war, konnte einem davon schlecht werden. Der Schädel war schwerer, als man vermuten würde. Es war das ganze Gewicht der Sterblichkeit.
    Und es sprach nicht für ein Leben nach dem Tode.

XLIII Kinderzeichnungen
    I n dem kleinen getäfelten Raum im Gasthaus zogen wir die Fensterläden vor die milchigen, vor Feuchtigkeit glänzenden Scheiben, fachten eilig das heruntergebrannte Feuer mit Apfelholz neu an, legten Scheit um Scheit nach und entzündeten dann alle Kerzen, die wir finden konnten, bis wir uns in einem Nest aus Licht und Wärme wiederfanden.
    Und trotzdem erschauerten wir noch. Ich erzähle Euch das, damit Ihr wisst, wie es sich anfühlt, wenn einem die Kälte bis in die Seele kriecht.
    «Wenn es jetzt nicht mehr zu gebrauchen sein sollte, fände ich das gar nicht komisch.» Dudley zog sich die durchnässten Stiefel aus und stellte sie vor den Kamin.
    Meine Hände waren gerötet, aufgesprungen und mit Schrammen und Schnitten übersät. Ich hielt sie gerade über das Feuer, als ich Schritte auf der Treppe vernahm. Und dann stand Cowdray in der Tür. Die Hände hatte er über seinem Bierbauch gefaltet, und unter seinen Augen hingen dunkle Ringe.
    «Wir sind’s nur, Wirt. Keine Diebe», sagte Dudley zu ihm. «Es sei denn, Ihr betrachtet das bisschen Holz als Diebesgut.»
    Cowdray sah zum Tisch hinüber und wandte dann den Blick ab, denn die Fläche war noch immer mit Graberde bedeckt. Genau wie wir. Der Totengeruch haftete an uns.
    «Ich habe gesehen, wie Ihr fortgegangen seid. Und mich gefragt, ob ich Euch noch irgendwie zu Diensten

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