Die Gebeine von Avalon
Grassode.
«Was, wenn er nun gelogen hat?», fragte ich. «Das hat er schon einmal getan.»
«Oh, und wie der lügen kann», sagte Dudley. «Gehört zu seinem Beruf.
Ja, natürlich mache ich Euch wieder gesund …
Aber wer begräbt denn bitte seine Frau mit ihren vertraulichsten Aufzeichnungen und weiß nicht einmal, was drinsteht? Das frage ich mich, ehrlich gesagt.»
«Ein Mann, der weiß, was drinsteht. Oder es zumindest annimmt. Ein verbitterter Ungläubiger. Ein Mann, den der Verlust gelähmt hat, der aber gleichzeitig an seinem kalten Zorn erstickt. Ein Mann, der seiner toten Frau die Schuld an ihrem eigenen Unglück gibt.»
«Was wir wohl gleich finden?»
«Vielleicht finden wir nichts, was von Bedeutung wäre», sagte ich. «Oder wir kommen hinter die wahren Gründe, aus denen Fyche es auf Cate und Eleanor Borrow abgesehen hat.»
Von einem angrenzenden Feld war das bellende Husten eines alten Schafes zu hören. Das konnte man als Anfeuerung oder Ermahnung deuten, ganz wie man wollte.
«Mach schon», sagte Dudley.
Ich setzte den ersten Spatenstich in Cate Borrows Grab.
XLII Zwillingsseelen
B ei meinem Sinnen über die Vergänglichkeit habe ich den Kirchendiener in Mortlake dabei beobachtet, wie er Gräber aushob. Das hier war allerdings etwas ganz anderes. Der Boden eines Gottesackers besteht oft aus trockener, ausgelaugter Erde, grobkörnig und voll brauner Knochensplitter. Begräbnis folgt auf Begräbnis, Tod auf Tod. Danach das Grab einebnen, und es geht von vorne los … Aber das hier war fruchtbare, lebendige Erde, feinster Humus, in der Tiefe warm und hungrig.
Nach ein paar Fuß mussten wir Pause machen, da wir derartige Anstrengung nicht gewohnt waren. Meine Kehle war trocken wie Zunder, und da weder Dudley noch ich Erfahrung mit körperlicher Arbeit hatten, hatten wir natürlich nicht daran gedacht, etwas Ale oder Cider mitzunehmen.
«Wenn Martin Lythgoe noch lebte …», stöhnte Dudley.
«Wären wir jetzt nicht hier.»
«Das ist wahr.»
Eine plötzliche Bewegung: Wir spähten beide in die Dunkelheit und entdeckten am Rande des Kräutergartens ein davonhoppelndes Kaninchen. Nein … es war ein Hase auf nächtlichem Streifzug. Er sprang fort und verschwand unter einer Hecke, verbarg sich im Nebel der mystischen Legenden, die sich um ihn rankten.
In dieser Nacht weigerte ich mich, nach Omen Ausschau zu halten.
«Wie sollen wir nur sein Herz nach London bringen?», wollte Dudley wissen. «Ich habe so etwas noch nie gemacht.»
«Du brauchst eine hölzerne Schatulle. So etwas wie einen Reliquienbehälter. Ich würde ja empfehlen, zu Benlow, dem Knochenmann, zu gehen, aber bei dem, was
er
anzubieten hat … kann man nicht wirklich sicher sein, was zuvor darin aufbewahrt wurde. Deswegen wäre es wohl besser, du wendest dich an den Pastor der Johanniskirche oder den von St. Benignus. Sie werden dir eine schöne Stange Geld aus der Tasche ziehen, aber das lässt sich eben nicht vermeiden.»
«Normalerweise würde ich nur ein paar Anweisungen geben, mit den Fingern schnippen, und die Sache wäre erledigt.» Dudley stemmte die Hände in die Hüften und drückte den Rücken durch. «Herr im Himmel, sieh mich nur einmal an … noch um Mitternacht draußen und die Hände ganz und gar mit Graberde verdreckt! Ist das nun unser großes Abenteuer? Mussten Artus’ Ritter bei Malory auch dafür herhalten, Tote auszugraben?»
Er zog sich den Hut vom Kopf, als über ihm eine weiße Eule in anmutiger Lautlosigkeit durch die Nacht flog.
«Hast du gewusst, dass sie mir eine Abtei geschenkt hat? Na ja, es war eher ein Kloster.»
«Noch eines?»
«
Ich schenke dir ein Kloster,
hat sie gesagt.
William wird sich um die Urkunden kümmern.
»
«Wann war das?»
«Vor zehn Tagen? Vor zwei Wochen? Das Schlimmste daran ist, dass ich mich nicht einmal mehr an den Namen des verdammten Dings erinnern kann. Es ist einfach nur ein Kloster mit ein paar Morgen Land. Und dann komme ich hierher und bin ein paar Stunden unter Leuten, für die eine Extrascheibe groben Graubrotes …»
«Du meinst Butleigh?»
«Sie hatten überhaupt keine Furcht vor mir. Eine alte Frau hat mein Pferd getränkt und mir Cider und ein Stück Pastete gegeben. Dabei hätte sie sich in der hintersten Ecke ihres Hauses versteckt, wenn sie gewusst hätte, wer …» Er sah mich über das ausgehobene Loch hinweg an. «Es war merkwürdig … Ich habe nie darüber nachgedacht, dass diese Menschen ein
eigenes Leben
haben, sondern bin immer
Weitere Kostenlose Bücher