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Die Gebeine von Avalon

Die Gebeine von Avalon

Titel: Die Gebeine von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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Vaters in einem Traum erschienen?»
    «Nicht mein Vater», erklärte Dudley. «Und es war auch kein Traum. Es mag der Fieberwahn gewesen sein, aber ein Traum … war es nicht.»
    Sein Kopf sank schwer wie Blei auf das Kissen. Plötzlich schien es mir, als hätte er letzte Nacht in der Abtei nach Absolution gesucht … doch er hatte keinen Trost gefunden. Eher das Gegenteil.
    «Und nun bin ich es, der stattdessen stirbt. Und nicht wenn die Nacht am tiefsten ist, sondern am helllichten Tage, damit ein jeder es sehen kann.» Sein Atem ging wieder schwer. «Damit alle es sehen.»
    «Der Doktor ist unterwegs», murmelte ich benommen.

XII Wachturm
    N ur wenige Augenblicke später – inzwischen schien die aufgehende Sonne auch durch den klaren oberen Teil der Fensterscheibe – glitt Robert in einen gnädigen Schlaf.
    Gnädig zumindest, was mich anging.
    Wie ich ja immer wieder betone, bin ich in diesen Dingen nicht sonderlich geschickt. Ich bin ein kontemplativer Mensch, ein Wissenschaftler. Ein Mathematiker und Astronom, der die Geometrie der Liebe ebenso wenig versteht, wie er die unstete Umlaufbahn des Begehrens berechnen könnte. Und wenn dieses Begehren auch noch von weltlichem Ehrgeiz angefacht wird, dann gnade uns Gott!
    Ich wich vom Miasma des Krankenbetts zurück und trat näher ans Sonnenlicht.
    Wie Fieber und Krankheit doch die Sinne verwirren, sagte ich mir. Ein Mann, der sich sonst voll Tapferkeit jedem Feind stellt, verwandelt sich leicht in ein ängstliches Kind, wenn die Gefahr in seinem Inneren lauert.
    Und in wessen Kopf hätten sich bei körperlichen Qualen nicht die dunkelsten Gedanken gestohlen?
    Nur waren Dudleys geheime Gedanken nun in meinen Kopf eingedrungen und hatten sich dort festgesetzt. Und seine Schuldgefühle, die kurz hinter seiner üblichen Arroganz und Scherzhaftigkeit aufgeblitzt waren, würde ich nicht so leicht wieder vergessen. Ebenso wenig wie das, was ich aus seinen Worten schließen konnte.
    Es war allgemein bekannt, dass er einen Sitz im Geheimen Rat anstrebte, und bei Hofe wurde gemunkelt, er würde bald schon einen weit bedeutenderen Titel tragen als den des Oberstallmeisters. Ich musste an den Tag denken, an dem ich sein aufrichtiges und anhaltendes Interesse an der Astronomie geweckt hatte.
Dort will ich hin, Dr. Dee,
hatte der damals ungefähr Dreizehnjährige zu mir gesagt. Ich selbst musste wohl um die einundzwanzig gewesen sein.
Ich will zu den Sternen aufsteigen.
    Hatte er in der vergangenen Nacht
tatsächlich
den lockenden Blick des Todes gespürt?
    Was, wenn er nun starb?
    Ich umklammerte das Fensterbrett.
    Und was, wenn er nun nicht starb? Wenn er seine Krankheit überwunden hatte, sollte ich ihn dann daran erinnern, war er an diesem Morgen im dunklen Wahn des Deliriums gesagt hatte?
    Und das Schlimmste daran, ja, das Schlimmste war: Trotz all der eifrigen ausländischen Kandidaten, die sich darum prügelten, der Gemahl unserer Königin zu werden, mochte es sein, dass es unter ihnen keinen Geeigneteren gab … als meinen Freund Robert Dudley.
    Das wusste ich. Und tief in seinem Herzen wusste es auch William Cecil.
    Und natürlich auch die arme Amy.
     
    †
     
    Vollkommen zerschlagen stand ich oben am Fenster dieser ehemaligen Pilgerherberge. Zum ersten Mal sah ich Glastonbury bei vollem Tageslichte. Ich blickte hinaus und beobachtete die morgendliche Betriebsamkeit in der Stadt, das geordnete Durcheinander der beladenen Karren, Frauen mit ihren Körben, Kinder, Pferde und Hunde, das Stimmengewirr in der Luft.
    Das hier war weder Bristol noch Bath. Glastonbury war kaum mehr als ein Dorf, nichts als ein paar schmutzige Häuser auf der einen Straßenseite und nicht ein einziges auf der anderen. Dort führte die Mauer der Abtei entlang, und dahinter stand die goldene Hülle dessen, was einmal der schönste und reichste Sakralbau im Westen Englands gewesen war.
    Zwei Jahrzehnte war es nun her, seitdem man die vierzig Mönche dort verjagt hatte und ihr Abt gefoltert, getötet und gevierteilt worden war.
    Was soll ich dazu sagen? Die Notwendigkeit der Reformen will ich gar nicht bestreiten, oder dass zumindest das päpstliche Joch abgeworfen werden musste. Aber die Zerstörung so vieler großartiger Gebäude und das Verschwinden ihrer Schätze und Bücher – ganz zu schweigen vom sinnlosen Dahinschlachten jener Männer, die diese zu lesen wussten – traf mich ebenso sehr wie die Plünderung Roms durch die Barbaren. Diese Stadt war nur wegen der Abtei überhaupt

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