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Die Gebeine von Avalon

Die Gebeine von Avalon

Titel: Die Gebeine von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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wissen?»
    Cowdray überlegte einen Moment.
    «Der Knochenmann?»
    Ich sagte nichts. Vielleicht war das ein Scherz.
    «Benlow, der Knochenmann», erklärte Cowdray. «Er sammelt Knochen. Die Leute bringen sie ihm, und er verkauft sie an die Pilger. Zumindest hat er das getan. Heutzutage läuft sein Geschäft ja nicht mehr so gut.»
    «Es ist
bekannt
, dass er ein solches Gewerbe betreibt? Ohne dass er –»
    «Vom Gesetz behelligt wird? Welches Verbrechen begeht er denn schon damit?» Cowdray erhob sich und legte noch ein Scheit nach. «Je mehr Knochen es gibt, desto heiliger wirkt ein Ort auf die Pilger. Und unsere Abtei war der heiligste von allen.»
    Ich brach mir ein Stück Brot ab und belegte es mit Käse.
    «Glaubt
Ihr
das selbst?»
    «Christus persönlich ist über diese Hügel gewandelt. Das müssen wir doch einfach glauben.»
    Ich betrachtete die brennenden Apfelbaumscheite in der Feuerstelle. Sonnenlicht spiegelte sich auf den Steinplatten des Bodens.
    «Es muss die Menschen hier tief getroffen haben, als die Mönche vertrieben wurden.» Ich sah, wie sich nun ein alarmierter Ausdruck in seine Miene stahl. «Seid unbesorgt. Ihr habt mein Wort …»
    «Gewiss.» Cowdray blickte zum Fenster. «Als sie Abt Whiting hinauf zum Gipfel des Hügels brachten, war es wie das Ende der Welt. Er war ein guter Mann. Ich bin der Erste, der zugibt, dass nicht alle Äbte gute Menschen sind, aber unser war ein warmherziger alter Bursche. Hat der Stadt immer geholfen, wo er konnte.»
    «Habt Ihr … beobachtet, was sie ihm antaten?»
    «Ich habe gesehen, wie sie ihn auf einen Holzrost gebunden durch die High Street schleiften wie einen Hirschkadaver.» Cowdrays angegrauter Schopf wurde vom Sonnenlicht angestrahlt, sein Gesicht lag im Schatten, während er sprach. «Ein alter Mann, verprügelt und geschunden wie irgendein gemeiner Dieb. Wo liegt da die Vernunft?»
    Ich schwieg. Ich musste an einen liebenswerten Mann namens Barthlet Green denken, der sich mit mir die Zelle in Bonners Kerker geteilt hatte, bevor er auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden war.
    «Ich glaube nicht, dass er noch etwas mitbekommen hat», erzählte Cowdray weiter. «Oder zumindest hat er sich nichts mehr daraus gemacht. Seine Augen waren geschlossen. Natürlich gab es allerorten Jubel und Gejohle – wie an einem Feiertag. Daran sieht man mal wieder, wie dumm manche Leute sind. Sind ihm bis hinauf auf den Tor gefolgt, halb besoffen. Ich konnte das nicht ertragen. Bin heim, hab ausgeschenkt und mich zurückgezogen.»
    «Auf den Tor?»
    «Ein kleiner spitzer Hügel, Doktor», erklärte Martin Lythgoe. «Mit einer Kirche obendrauf, die bei einem Erdbeben eingestürzt ist. War zu dunkel letzte Nacht, deswegen konntet Ihr ihn nicht sehen.»
    «Verstehe.» Ich nickte. «Dort ist der Abt hingerichtet worden?»
    «Manche meinen, dass der Hügel dem Teufel selbst gehört», fuhr Cowdray fort. «Deswegen hat man dort eine Kirche gebaut. Und deswegen ist sie wohl auch eingestürzt. Man sagt, dass sich der Teufel in der Nähe von jedem heiligen Platz eine erhöhte Stelle sucht, um darauf seinen Wachturm zu bauen. Und ja, genau dort hat man den Abt und zwei weitere anständige Mönche erhängt. Dann haben sie ihn runtergeschnitten, seinen Körper in vier Teile zerhackt und …»
    «Ich bin mit der Prozedur vertraut.»
    «Wundert einen nicht, dass er keine Ruhe findet.»
    «Bitte um Vergebung …?»
    Eine Frau kam ins Zimmer und setzte sich auf eine kleine Bank. Ganz offensichtlich war sie keine Bedienung, denn sie trug keine Schürze und hatte den Raum einfach so und ohne Aufforderung betreten.
    «Aus diesem Grund geht auch niemand mehr nach Einbruch der Dunkelheit in die Abtei», fuhr Cowdray fort. «Oder holt sich dort Steine. Es heißt, man sieht zunächst die Kerze des Abtes im Kirchenschiff aufleuchten. Und dann sollte man, wenn man noch genügend Menschenverstand im Schädel hat, alles stehen- und liegenlassen und rennen, als ob der Teufel hinter einem her wäre. Sonst erscheint einem der Abt in vollem Ornat.»
    Martin Lythgoe erschauerte. Die Frau in der Ecke ließ keinerlei Gefühlsregung erkennen. War sie Cowdrays Frau? Sie hatte langes dunkles Haar, das sie über die Schulter zurückgeworfen hatte, und trug einen verwaschenen blauen Überrock mit einem Gürtel, der locker um ihre Hüften hing.
    «Wer sich Steine aus der Abtei holt, um sein Haus zu reparieren, sollte sieben Wochen lang jeden Morgen auf den Knien Buße tun», erzählte Cowdray

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