Die Gebeine von Avalon
weiter. «Oder das Haus findet keinen Frieden.»
«Keine schlechte Geschichte, um die Leute vom Plündern der Abtei abzuhalten», murmelte die Frau. «Ganz besonders, wenn sie steife Knie haben.»
Cowdray drehte sich auf seinem Schemel herum.
«Nel … hab dich gar nicht reinkommen hören.»
«Wenn ich deine fortschreitende Taubheit behandeln soll, sag nur Bescheid», gab die Frau zurück.
Cowdray lachte. «Wie geht es Master Roberts?»
«Schläft. Je mehr Schlaf er jetzt bekommt, desto besser stehen die Chancen, dass er alles gut übersteht.»
Mir war, als begänne der getäfelte Raum zu schwanken. Während ich langsam begriff, dass diese junge Frau der Doktor war, der Dudley behandelt hatte, hörte ich seine Stimme in meinem Kopf.
«… mit beiden Beinen über dem Boden schwebend, blickt er voll schrecklichen Mitleids auf mich herab … das Licht des weißen Mondes scheint durch ihn hindurch … kalt.»
XIII Elixier
G eister. Ich wurde oft nach ihnen gefragt, aber was sollte ich schon antworten? Ich war noch nie einem begegnet …
Ob ich mir
wünschte
, einen zu sehen?
Natürlich. Und wie!
Und dennoch …
Wartet. Lasst mich versuchen, es Euch in einfachen Worten, aber doch aus Sicht des Wissenschaftlers zu erklären. Ich verspreche auch, dabei keine esoterischen Symbole zu verwenden.
Wie allgemein bekannt ist, gibt es drei Sphären: die irdische Welt, die himmlische oder astrale Welt und dann noch die darüber, wo die Engel wohnen. In gewissen verbotenen Büchern kann man zahlreiche Beweise dafür nachlesen, dass manche Menschen in der Lage sind, im Geiste in astrale Gefilde zu reisen und im Geiste auch für eine Weile dort zu bleiben.
Ich indes nicht. Ich war nie dort. Um es deutlich zu sagen: Aus meinen Studien schließe ich, dass dies gefährlich ist, und nicht zuletzt, weil man von dort etwas mitbringen kann in die irdische Welt.
Unsere
Welt.
Deshalb muss es das Ziel meiner Arbeit sein, wie ich immer wieder betone, Kontakt zur Sphäre der Engel aufzunehmen, weil dies die Heimat der Wahrheit und des Lichts ist. Und nicht die der Geister, welche die reformatorischen Eiferer ebenso aus unseren Glaubensvorstellungen zu verbannen suchen wie das katholische Fegefeuer.
Welche Aussage kann man also, realistisch betrachtet, über die wandelnden Toten treffen? Falls ein Lebender im Geiste in einer höheren Sphäre weilen kann, folgt daraus, dass ein Toter seinerseits in einer niederen Sphäre – also der unseren – zu existieren vermag. Und dies lange genug, wie es scheint, um bei all jenen Angst und Schrecken zu verbreiten, die seiner ansichtig werden. Angst, weil ein Toter nur dann körperlos in diese Welt zurückkehrt, wenn er sie ohne inneren Frieden verlassen hat und deshalb nicht in Gottes Licht eingehen kann. Daher ist sein Erscheinen in unserer Sphäre immer
ein schlechtes Zeichen
.
†
«Ich kann Euch beruhigen», versicherte die Heilerin. «Master Roberts ist nicht vom Tode gezeichnet. Ich habe ihn auf alle gefährlichen Krankheiten untersucht und keine entsprechenden Symptome entdeckt.»
«Pocken?»
«In dieser Gegend ist die Wollkämmer-Seuche verbreiteter, die manchmal mit Fieber beginnt. Bei einem Londoner ist sie allerdings unwahrscheinlich. Daher vermute ich, dass es sich um eine weniger schwerwiegende Krankheit handelt. Außerdem ist er jung und stark.»
Ausgesprochen erleichtert nickte ich.
«Wenn sein Geist auch aufgewühlt ist», ergänzte sie.
Wir befanden uns auf dem Hof hinter dem George Inn. Wolken hatten die Sonne gemeuchelt. Zwar war es wärmer als in London, aber immer noch beißend kalter Februar. Trotzdem trug die Ärztin den Umhang über dem einen Arm und hatte den Ärmel des anderen bis zum Ellbogen aufgekrempelt. Ihre Haut war gesprenkelt wie ein Hühnerei.
«Sein Geist, Mistress?»
«Oh.» Sie zuckte mit den Schultern. «Er spricht im Wahn … gequälte, angstvolle Worte. Allerdings», fügte sie rasch hinzu, «kann man kaum etwas davon verstehen.»
«Er spricht im Wahn …?»
… noch vor dem Morgengrauen. Ganz leise von einer plötzlichen Krankheit dahingerafft, wenn die Nacht am dunkelsten ist …
Denkbar, dass ich erbleichte.
«Wie auch immer», sagte sie heiter, «jedenfalls ist er nicht der Einzige, den in dieser Woche ein Fieber heimsucht. Wahrscheinlich ist es aus Frankreich oder Spanien zu uns herübergekommen. Wo habt Ihr zuletzt genächtigt, bevor Ihr hier ankamt?»
«Bristol», antwortete ich, und sie nickte, als würde das
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