Die Gebeine von Zora
gefangen habt, wie ich es befohlen hatte! Schafft sie an Bord! Hurtig, hurtig!«
Reith und seine Gefährten wurden gepackt und über die Reling der Schiffe gehievt, deren Rümpfe sich im sanften Auf und Ab der Dünung mit einem mahlenden Geräusch aneinander rieben. Reith und Alicia schafften es, mit den Füßen auf dem Deck des anderen Schiffes zu landen, aber Marot schlug schwer auf den Planken auf und erhob sich mühsam und vor Schmerzen stöhnend. Danach wurden Gendu und die Überlebenden seiner Mannschaft über die Relinge gestoßen. Sobald die Gefangenen auf dem Deck des anderen Schiffes gelandet waren, packten jeweils zwei Piraten sie und fesselten sie an den Händen. In der Zwischenzeit schwärmten andere Piraten – denn Reith war sich sicher, dass es sich um solche handelte – an Bord der Kubitar und durchsuchten sie nach Beute. Reith rief:
»Alicia! Bist du okay?«
»›Okay‹ würde ich es nicht gerade nennen!« rief sie zurück. »Aber jedenfalls bin ich nicht verletzt.«
»Und du, Aristide?«
»Alles soweit okay, bis auf die Schnittwunde.«
»Einen Moment, das haben wir gleich«, sagte Alicia. Bei ihrem hastigen Versuch, sich etwas überzuziehen, war sie nicht weiter als bis zur Unterhose gekommen. Diese zog sie sich jetzt mit gefesselten Händen aus und riss sie in Streifen. Das Gewebe war schon so fadenscheinig, dass es fast von selbst auseinander fiel. Geschickt verband sie Marots rechten Oberarm. Die Piraten halfen ihr weder, noch hinderten sie sie daran.
»Ich hatte Glück«, sagte Marot. »Bloß ein Kratzer. In ein paar Tagen ist die Wunde wieder verheilt. Sag mal, Fergus, hast du eine Ahnung, was hier eigentlich vor sich geht?«
»Ich frag mal Kapitän Gendu. Vielleicht weiß der mehr. Kapitän Gendu! Wer sind diese Leute?«
Mit müder Stimme erklärte Kapitän Gendu: »Dieses Schiff ist Tondis Haghrib. Diese Teuflin ist der schlimmste von allen Piratenkapitänen.«
Für die Dauer der nächsten Stunde kauerten die Gefangenen – die drei Terraner, Kapitän Gendu, sein Steuermann Chindor, der Koch und neun weitere Überlebende der Besatzung – trübsinnig im Bug des Piratenschiffes, während die Piraten die Kubitar durchstöberten und ihre Beute über die Relinge auf das Deck des Piratenschiffes hinüberreichten. Tondi überwachte mit gestrengem Blick das Verladen der Beutestücke. An der Reling stand ein dicker Pirat mit einem Holzbein und einer Brille auf der Nase und trug jeden Posten in eine Liste ein. Erst wenn dies geschehen war, wurden die Sachen hinunter in den Frachtraum getragen.
Tondi stand über die Luke zum Frachtraum gebeugt und brüllte ihre Anweisungen hinunter: »Die Weinkrüge zusammen, Idioten! – Die Stoffballen links in die Ecke! – Seid ihr mit Blindheit geschlagen? Dort hinten ist noch Platz!«
Kurz darauf erschien ein Pirat und Marots Sack über der Schulter an der Luke. »Kapitän, ist dies der Sack mit Steinen, von dem der Bákhtit sagte, seine Herrin wolle ihn haben?«
»Ist das der einzige Sack mit Steinen an Bord? Nun, dann muss er es sein. Die alte Lazdai scheint langsam weich im Hirn zu werden, wenn sie anfängt, Steine zu sammeln. Aber das soll uns nicht scheren, solange sie uns dafür zahlt, was sie versprochen hat. Reich ihn hinunter!«
Schließlich meldete ein Pirat: »Kapitän, wir finden nichts mehr, außer Massengütern von geringem Wert: Marmorplatten, Bleibarren, landwirtschaftliche Erzeugnisse und dergleichen. Keine Juwelen und keine Münzen, abgesehen von ein paar hundert Karda.« Reith vermutete, dass die ›paar hundert Karda‹ größtenteils sein Geld war.
»Dann müssen wir diese Gewässer weiter durchstreifen, bis wir fettere Beute finden«, erwiderte Tondi.
»Aber Kapitän!« rief ein Pirat, der seiner äußeren Erscheinung nach zu urteilen offenbar so eine Art Schiffsoffizier darstellte. »Wird das Lösegeld, das wir für diese Terraner von der Priesterin kriegen, nicht Beute genug für diese Reise sein?«
»Und was, wenn die alte Vettel uns das Lösegeld vorenthält, wenn sie die Fremdweltler erst einmal in den Klauen hat? Ich traue ihr nicht. Wir kreuzen also erst noch eine Weile, bevor wir den für die Übergabe der Kreaturen vereinbarten Treffpunkt anlaufen. Und nun stoßt das andere Schiff ab und versenkt es!«
Als die ersten Rauchwolken aus der Frachtluke der Kubitar drangen, stießen die Piraten das Schiff mit Bootshaken ab. Dann setzten sie sich rasch an die Riemen und ruderten die Haghrib von der Kubitar weg.
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