Die Gebeine von Zora
anatomische Merkmal fehlte, löste sein Anblick oft neugieriges Erstaunen aus.
Nachdem er sich abgetrocknet und seinen guten krishnanischen Kilt angezogen hatte, sah die Welt schon wieder anders aus, und sein Zorn verrauchte rasch. Egal, was Alicia sagte oder tat, er konnte ihr nicht lange böse sein, ganz gleich, wie wütend sie ihn bisweilen machte. Er machte sich Vorwürfe, dass er sie so hart angefahren hatte. Hoffentlich stieß ihr nichts zu, und sie kam heil und unversehrt auf das Schiff zurück!
Qa’di war ihm inzwischen so dicht auf die Pelle gerückt, dass sie ihn fast berührte. »Ich würde Euch nicht so rücksichtslos behandeln«, säuselte sie.
»Danke. Das könnte ich mir bei Euch auch nicht vorstellen.«
»Vielleicht kann ich Euren Leberschmerz lindern?« Sie warf einen bedeutungsschwangeren Blick auf die Tür des Deckhauses.
»Verzeiht mir, werte Dame, aber ich fühle mich heute unwohl. Aber wir können uns ja morgen Zeit nehmen, einander besser kennen zu lernen.«
»Einverstanden! Ich werde da sein.«
Die nächste krishnanische Stunde verbrachte Reith damit, nervös auf dem Deck auf und ab zu gehen, zuzuschauen, wie die Fracht verstaut wurde, und unruhig von einem Bein aufs andere zu treten. Als die Schauerleute schließlich mit dem Beladen fast fertig waren, von Alicia aber noch immer keine Spur zu sehen war, sagte Reith zu Marot:
»Aristide, diese Frau raubt mir noch den letzten Nerv. Soll ich an Land gehen und nach ihr suchen? Wenn sie sich verlaufen hat, sehe ich schwarz. Wir können von Sarf schlecht verlangen, dass er ihretwegen seinen Zeitplan völlig über den Haufen wirft. Andererseits, wenn ich an Land gehe, verlaufe ich mich womöglich auch noch. Es würde Lish ganz recht geschehen, wenn wir ohne sie lossegelten; aber das kann ich einer terranischen Landsmännin nicht antun, schon gar nicht meiner Ex-Ehefrau.«
»Ich kann deine Gefühle sehr gut verstehen«, erwiderte der Franzose. »Ich schlage vor, wir holen unsere Sachen und stellen uns aufbruchbereit ans Ende des Landungssteges. Wenn sie noch nicht wieder da ist, wenn Sarf ablegen will, müssen wir wohl oder übel an Land gehen, dort auf sie warten und auf die Hilfsbereitschaft der Einheimischen vertrauen. Vielleicht gibt es eine Herberge für Reisende. Vielleicht können wir auch das nächste Flussboot anhalten, das in östlicher Richtung segelt.«
»Vergiss nicht, wir sind praktisch mittellos«, gab Reith zu bedenken. »Und ohne Geld auf Krishna festzuhängen, ist genauso schlimm, wie auf der Erde ohne einen Heller in der Tasche in einem fremden Land auf der Straße zu stehen.«
»Vielleicht lässt uns irgendein Paysan in seiner Scheune schlafen. Als Gegenleistung für ein paar Abenteuergeschichten von der Erde«, versuchte Marot sich selbst Mut zu machen. »Vielleicht sind wir ja auch schon nahe genug bei Jazmurian, dass wir auf dein Jadetäfelchen Kredit bekommen. Und wenn alles schief geht – wie weit ist es noch von hier bis Jazmurian?«
Reith runzelte die Stirn. »Ich würde sagen, zwanzig bis dreißig Kilometer.«
»Ich bin zwar nicht mehr der Jüngste und auch nicht der Dünnste, aber vielleicht könnte ich es schaffen. Komm, holen wir unsere Sachen!«
Eine Viertelstunde später, gerade, als Kapitän Sarf auf seinem Gong das Signal zum Ablegen gegeben hatte, kam Alicia um die Ecke gebogen, in der Hand einen Packen Notizzettel. Sie stürmte den Landungssteg hinauf, den die Matrosen gerade an Bord ziehen wollten, blieb stehen und warf einen verächtlichen Blick auf Reith und Marot.
»Na, wollt ihr euch ausschiffen?« fragte sie mit einem Blick auf das bereitstehende Gepäck. »Findet ihr meine Gesellschaft so unerträglich?«
Ohne auf eine Erklärung zu warten, verschwand sie im Deckhaus. Als sie wieder auftauchte, ignorierte sie Reith und Marot demonstrativ. Sie hängte sich an Kapitän Sarf, leistete ihm Gesellschaft an der Ruderpinne und erging sich in Komplimenten über sein steuermännisches Können und die Geschicklichkeit, mit der er das Schiff in die Strommitte lenkte.
Beim Abendessen belegte sie den Stuhl neben dem Kapitän mit Beschlag und schenkte ihm ihre ausschließliche Aufmerksamkeit. Sie schwatzte, machte charmante Komplimente, scherzte und umgarnte ihn mit ihrem bezauberndsten Lächeln. In der Form, dachte Reith mürrisch, würde sie sogar einen Bijar dazu bringen, Männchen zu machen.
Als die Morkerád für die Nacht auf einer Sandbarre vor Anker ging, stellte sich Reith an die
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