Die Gebeine von Zora
Ich habe das schon mehrmals gesagt, aber es scheint nicht zu dir durchgedrungen zu sein. Was immer du in deinem Leben erreichen willst …«
»Ich weiß selber, was ich will!« fiel sie ihm heftig ins Wort und starrte ihm herausfordernd ins Gesicht.
»Was immer du erreichen willst, du versaust dir selbst alle Chancen, es zu kriegen, entweder mit deiner Dickschädeligkeit oder mit deiner aufbrausenden Art. Was du brauchst, ist ein guter Therapeut.«
Sie senkte den Blick, und ihre Schultern erschlafften. »Du hast vermutlich recht, aber was soll ich machen? Wir haben auf Krishna keinen erstklassigen Psychotherapeuten. Marina Velskaja ist eine gute praktische Ärztin, die auch eine Menge über krishnanische Anatomie und Krankheiten weiß, aber in der Psychiatrie ist sie eine Amateurin. Und wenn ich zu einer Behandlung auf die Erde reisen würde, wäre ich zwanzig Jahre krishnanischer Zeit weg, und in der Zwischenzeit hättest du dir längst eine andere geangelt.«
»Dann wird dir wohl nichts anderes übrig bleiben, als allein damit klarzukommen. Aber denk daran, was ich dir gesagt habe.«
Nach einem längeren Schweigen fragte sie: »Krieg ich … einen kleinen Kuss?«
Er gab ihr einen kurzen, brüderlichen Kuss. »Vielleicht willst du lieber, dass ich reingehe«, sagte sie, und ihre Stimme klang dabei ein klein wenig erstickt.
»Gehen wir beide rein.« Er hielt ihr die Tür zum Deckhaus auf.
VIII.
Der Tempel
Reith und seine Gefährten standen an der Reling, als das Weichbild von Jazmurian in Sicht kam. Vom Wasser aus schien sie, besonders das Viertel um den Hafen herum, hauptsächlich aus Slum-Unterkünften und miesen Spelunken zu bestehen. Dahinter jedoch, in den höher gelegenen Vierteln abseits des Flusses, ließ das Funkeln von Glas und Messing auf Türmen und Kuppeln auf das Vorhandensein edlerer Bauwerke schließen. Deutlich sichtbar reckte der Tempel seine Turmspitzen in die Luft. Flussabwärts, wo der Zigros sich in einer breiten Mündung zur Sabadao-See hin öffnete, tauchten die Masten und Rahen seetüchtiger Schiffe auf, aus der Ferne wie ein Wirrwarr von Zahnstochern anmutend.
»Fergus«, fragte Alicia, »wo können wir absteigen, bis wir unsere Finanzen geregelt haben?«
Während der letzten zwei Tage der Reise hatten sie sich, wenn auch nicht unfreundlich, so doch mit einer gewissen förmlichen Reserviertheit behandelt. Reith spürte, dass er bald für sich irgendeine Entscheidung bezüglich ihrer gemeinsamen Zukunft treffen musste; und da er ein methodisch denkender und handelnder Mann war, wollte er alle Möglichkeiten und Konsequenzen in Betracht ziehen und abwägen. Auch wenn es großen Spaß machte, Alicia als Amorex zu haben, bezweifelte er, dass dies auf lange Sicht Grundlage für eine tragfähige Beziehung sein konnte. Ganz abgesehen davon liebte er klar definierte Verhältnisse. Jede Art von Ungewissheit bereitete ihm Unbehagen.
Er war sicher, dass Alicia ihn mit Kusshand wieder heiraten würde. Seine Gefühle sagten ihm: Sie ist die einzige, die große Liebe deines Lebens; also nimm sie und lass sie nicht mehr los! Sein Verstand aber sagte ihm, dass es keinen Zweck hatte, sie wieder zu heiraten, wenn das Ganze am Ende wie beim ersten Mal in die Brüche gehen würde. Die Eigenschaften von Alicia, die sie beim ersten Mal entzweit hatten, waren noch immer nur allzu deutlich existent.
»Meine letzte Touristengruppe habe ich in Angurs Gasthof untergebracht«, beantwortete er ihre Frage. »Es ist zwar kein Ritz, aber es schlägt die ganzen anderen Flohkisten um Längen.«
»Ich weiß«, sagte sie und kratzte an einem Biss von einem krishnanischen Arthropoden. »Jazmurian macht auf den ersten Blick einen ziemlich trostlosen Eindruck, wie Jeshang, nur ein paar Nummern größer. Hat es irgendwas an Unterhaltung zu bieten, ich meine, falls wir länger hier festhängen?«
»Das Erdgeschoß von Angurs Gasthof ist ein einziger großer Nachtklub. Es gibt auch Tanz und Entertainer, falls du nichts gegen ungeschickte Imitationen von terranischem Show-Business hast.«
»Tanz, sagst du? Oh, Fergus, da möcht ich gern mit dir hin!«
Reith unterdrückte ein Lächeln. Er hatte eine Überraschung im Ärmel.
»Wer regiert diese Stadt?« fragte Marot.
»Sie gehört zur Republik Qirib, die die Halbinsel in der Sabadao einnimmt. Bis vor ein paar Jahren herrschte in Qirib noch Matriarchat. Die Frauen waren das dominierende Geschlecht. Sie hatten einen kuriosen Brauch: Die Königin nahm sich einen
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