Die Geburt Europas im Mittelalter
ganzen Christenheit
vilani
– niedrig, gemein und tölpelhaft – genannt wurden und lange den Status von Unfreien, erst Sklaven und dann Hörigen, bewahrten, während Städter sein Freiheit bedeutete. Damals kam übrigens das deutsche Sprichwort auf: «Stadtluft macht frei.»
Ansonsten übernahm und bekräftigte das Christentum eine antike Vorstellung von der Stadt, die auf Aristoteles und Cicero zurückging. Für sie waren es nicht die Mauern, die eine Stadt definierten und ihr Wesen ausmachten, sondern die Menschen, die Einwohner. Diese Vorstellung war im Mittelalter sehr verbreitet, zumal sie die Unterstützung großer, sehr einflussreicher Denker wie Augustinus und Isidor von Sevilla genoss. Man findet sie auch in einer erstaunlichen Sammlung von Predigten, die der Franziskaner Berthold von Regensburg um die Mitte des 13. Jahrhunderts auf Lateinisch und auf Deutsch in Augsburg gehalten hat. Diese Predigten entfalten eine Art Theologie und Spiritualität der Stadt, wobei die düsteren schmalen Gassen für die Hölle und die freien Plätze für das Paradies stehen. Eine städtebauliche Vision war im 13. Jahrhundert Teil der städtischen Mentalität.
Während die feste Bauweise der antiken Straßen im Mittel alter verloren ging und Landstraßen nur noch „passierbare Wege“ waren, machte sich innerhalb der Städte seit dem 12. Jahrhundert eine Sorge um Reinlichkeit bemerkbar. Immer mehr Pflaster wurden angelegt, die Beseitigung von Abfällen und Schmutzwasser wurde reglementiert, und es wurden Bauwerke geschaffen, die nicht nur die Macht der Mächtigen vor Augen führen sollten, sondern auch der Zierde und der Schönheit dienten. Die mittelalterliche Stadt war einer der wichtigsten Bereiche, in denen eine neue, moderne Vorstellung von Schönheit entstand, die sich von der versunkenen antiken Ästhetik deutlich unterschied. Umberto Eco hat das Aufkommen eines mittelalterlichen Schönheitsideals, das sich in den Bauwerkenverkörpert und von der urbanen Scholastik mit einem theoretischen Überbau versehen wurde, eindrucksvoll geschildert.
Besser denn je trifft das Wort von der «Gemütsverfassung» zu, als deren Ausdruck der italienisch-amerikanische Historiker Robert Sabatino Lopez die europäische Stadt definiert hat. Hier darf auch das Bild der Stadtmauern nicht fehlen, in dem sich im Mittelalter sowohl die materiellen Gegebenheiten als auch die geistigen Vorstellungen verdichteten. Die Antike hatte der mittelalterlichen Stadt Mauern hinterlassen, die oft, wie im 3. Jahrhundert in Rom, zur Verteidigung gegen die Barbareneinfälle errichtet worden waren. Aber viele dieser Schutzwälle waren mehr oder weniger verfallen. Im Mittelalter wurden sie ausgebessert, meistens sogar neu gebaut – nicht nur zum Schutz, sondern vor allem, weil die Mauer das Symbol der Stadt schlechthin geworden war. Eine richtige Stadt musste von Mauern umgeben sein. Als die Städte den Status von Rechtspersönlichkeiten erhielten und Stadtsiegel in Gebrauch kamen, wurde auf ihnen oft die Stadtmauer dargestellt. Die Bedeutung der Mauer lenkte den Blick auf die Tore. Die Tore waren der Durchlass für Menschen, Tiere und Waren, der materielle Ausdruck einer Dialektik von Innen und Außen, die im christlichen Mittelalter eine wesentliche Rolle spielte und in ganz Europa tiefe Spuren hinterlassen hat. Das Innere galt als privilegierter Raum, der dem Äußeren sowohl territorial als auch gesellschaftlich und spirituell vorgezogen wurde. «Verinnerlichen» ist eine europäische Tradition, ein europäischer Wert geworden.
Bischofsstädte.
– Der erste Städtetyp, der im mittelalterlichen Europa Verbreitung fand, war die Bischofsstadt. Die Anwesenheit eines Bischofs kann sogar als das urbane Zeichen
par excellence
betrachtet werden, da der Bischof nicht nur das notwendige Oberhaupt jeder etwas größeren Menschengruppe war, sondern auch der Verantwortliche für die Riten der neuen Religion, die hauptsächlich in den Kirchen, also innerhalb der Städte abgehalten wurden. Die Bildung einer Stadtbevölkerung von Christen, von Gläubigen, nahm durch die Einbeziehung der Toten in die Städte besonders revolutionäre und spektakuläreZüge an. Da der Leichnam nicht mehr, wie für die Alten, ein Gegenstand des Abscheus war, holte das Christentum die Friedhöfe in die Siedlungen zurück. Die Totenstadt lag von nun an innerhalb der Stadt der Lebenden.
«Großstädte».
– In der entscheidenden Phase des 13. Jahrhunderts brachte der
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