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Die Gedichte

Die Gedichte

Titel: Die Gedichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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dort innen steht,
wir haben alles, was dort innen steht.
Wie fassen wir denn, was dort innen steht,
da auch das Fliegende dort innen steht.

    Da auch der Winde mancher innen steht
und Fallendes nicht fällt und innen steht
und dennoch fällt indem es innen steht
fallender fällt indem es innen steht.

    Da auch Geschwundenes dort innen steht
Und nicht mehr schwindet seit es innen steht.
Im Schwinden selber steht, was innen steht.
Wie fassen wir denn, was im Schwinden steht?

    O Blütenbaum, o Blütenbaum in mir,
jetzt bist du endlich auf der Jubelseite
singst nicht in Blicke mehr und hast, statt vier
Zeiten des Jahres, Himmel nach der Breite
Und du, o meine Heldin, Nachtigall,
wie konnte dir ein Zwischenraum genügen:
in mich erst türmtest du in vollen Zügen
dein stufig ausgerufenes Metall.

    O Menschenangesicht: aus solcher Flut
von immer Irrtum immer wieder tauchend,
nichts, nur ein wenig Bleibens brauchend,
trotz allem grüßend, gebend, beinah gut – .
O Menschenangesicht aus solcher Flut.
Und über Dir nur Züge, kein Gesicht
aus Maßen, daß Du Dich dazu bezögest;
und wenn Dus von den Bergen niederbögest:
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Ach über Dir nur Züge, kein Gesicht.

    Kreuzweg des Leibes. Und sind doch die himmlischen Straßen
welche uns bilden: den Platz, wo es trübe weht.
Maßlos kommen sie an und sind ohne Maßen
hinaus in den reinen Raum gedreht.

    Ach was hülft es, daß ich mirs versage.
Um zu fühlen bin ich jung.
Wo ich neunmal schweige, bricht die Klage
einen Mund in meine Weigerung.

    Und verschlossen, wie ich bin, verschlossen
wie ein Waisenkind, ein Stück, ein Stein, –
steh ich doch von Wesen überflossen.
Plötzlich scheint in mir ein Mond zu sein.

    Unbeschreiblich sind wir einbezogen
in der Schöpfung langerstarrten Schwung:
Hingereckte die, die hergebogen,
wie das Holz in seiner Maserung.

    Draußen Welten, Welt – , wieviel, wie vieles – ;
aber wer beschreibt
Glück und Übermaß des Gegenspieles,
das in uns Gesicht und Wesen treibt.

    Draußen Lüfte, Grüße, Wünsche, Flüge,
Übertroffenheit, Betrug – ,
aber innen blühende Genüge
und der unbeschreibliche Bezug.

    Da wird der Hirsch zum Erdteil. Hebt und trägt
den Winterbaum, sein reines unbelaubtes
verzweigtes Spiel. Der Friede seines Hauptes
reicht nicht soweit, daß er in Blätter schlägt.

    DAS TAUF-GEDICHT
Meinem Taufkind (Oktober 1916)

    Du auf der Schwelle. Heimischer und Gast.
Du Knabe, wacher, auf der Lebens-Schwelle,
abgleitet deinem Scheitel leicht die Welle
als deines Wachsens fallender Kontrast.

    So fällt an dir des Lebens Flut und Zeit.
Nichts bleibt in dich gefaßt, wie du’s auch ränderst.
Und alles, was du wirst und hast und änderst,
wird abends wieder absein wie ein Kleid.

    Und doch hat dies dich dauernder verwoben:
daß eine Hand aus fließender Natur
ein wenig Wasser über dich gehoben,

    das nun, vermischt mit Scheu aus dieser Hand,
zitternd von ihr, die künftige Figur
in dir erfrischt wie ein gewilltes Land.

    Was Kühnheit war in unserem Geschlecht,
ward in mir Furcht: denn auch die Furcht ist kühn.
Dir aber giebt das Leben endlich recht:
Aus Furcht und Kühnheit darfst du ruhig blühn.

    Da rauscht das Herz. Was stärkt, was unterbricht,
was übertönt das Rauschen seines Ganges?
Oft war ein Frohes feindlich und ein Banges
war mehr als Beistand. Ach, wir wissen nicht.

    Doch manchmal sind wir innen so im Recht,
daß wir Geschehn mit Dasein überwiegen,
und sind so voll, so von uns schwer, so echt,
daß sich die stummen Stützen biegen,

    die mit uns wuchsen. Wirklichkeit des Seins.
Um des Geliebten, um der Leistung willen
erstehn wir seiend, seiender. Sind eins

    mit der erlebten Erde. Und im Stillen
entströmt die Weite reinen Augenscheins
wie klarer Weltraum unseren Pupillen.

    Kind, die Wälder sind es ja nicht,
welche die Stürme erregen;
ach, nicht einmal das Meer
stürzt in die Räume den Sturm.

    Du, du stürmtest. Was war ich da?
Hain oder Garten; rauschte, gab Raum.
Oder die Ebene war ich
deines gestürmten Gefühls.

    Wo aber warst du seither, du Sturm?
Du Frühsturm, von wo jetzt
bringst du wie Nachtwind zurück
meiner Wälder Geruch?

    Unsichtbar kommst du und wehst.
Soll ich um deine Erscheinung
trauern? Aber du warst ja
eben ein Mädchen, das schrieb.

    Schriebst du? Atmetest? Oder
fühltest du selber dich nur
schattig und wieder
licht unterm wechselnden Baum?

    So auch über mich nun
bringst du beweglichen Wechsel.
Kommst

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