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Die Gedichte

Die Gedichte

Titel: Die Gedichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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vermag zu regnen?

    Wem geht ein Wind durchs Herz, unwidersprechlich?
Wer faßt in sich der Vogelflüge Raum?
Wer ist zugleich so biegsam und gebrechlich
wie jeder Zweig an einem jeden Baum?

    Wer stürzt wie Wasser über seine Neigung
ins unbekannte Glück so rein, so reg?
Und wer nimmt still und ohne Stolz die Steigung
und hält sich oben wie ein Wiesenweg?

    Erst: wem hält mans hin? Es drängt; man trägt es
durch die Nähe wie ein Ding das schweigt.
Mancher schwer Erwachsene erwägt es,
und dann wird es ernstlich vorgezeigt.

    Vom Getriebe der Gespielen nimmt es
Leichtigkeiten und Gewicht vom Haus,
aber plötzlich hebt ein Unbestimmtes
es aus dem Ermeßlichen hinaus.

    Und schon hat es nicht mehr Seines Gleichen,
seine Ähnlichkeit wird weit gespannt.
Nächte kommen, die es weiterreichen,
daß es einst gegrüßt sei und erkannt.

    Ach von wem? Da glänzt das Lächeln offen
in dem Wind, der aus dem Leben weht,
da zuerst, von Künftigem betroffen,
trinkt es Zukunft, atmet, übersteht
schon das einzeln Kommende im reinen
Vorgefühl.

    Erkannter Vampyr mit dem Pfahl im Herzen
FÜR FRÄULEIN HEDWIG ZAPF

    Wir wenden uns an das, was uns nicht weiß:
an Bäume, die uns traumvoll übersteigen,
an jedes Für-sich-sein, an jedes Schweigen –
doch grade dadurch schließen wir den Kreis,

    der über alles, was uns nicht gehört,
zu uns zurück, ein immer Heiles, mündet.
O daß ihr, Dinge, bei den Sternen stündet!
Wir leben hin und haben nichts gestört … .

    Untergang und Überstehen: beides
ist am Jugendlichen selbst schon alt;
nur wie An- und Abtun eines Kleides
streift es die entsteigende Gestalt.

    FÜR FRÄULEIN
ELISABETH VON GONZENBACH

    Schönheit war einst in tiefbemühten Zeiten
wie nach dem Tag die reine Abend-Ruh;
uns drängt Unsichtbares von allen Seiten,
und aus Gesetzen, die wir überschreiten,
kehrt sich das Leben uns als Drohung zu.

    So suchen wir nach einem wachen Geiste,
der nicht mehr ruht, der sich mit uns bewegt.
Wir stürzen hin, und mit uns stürzt das Meiste,
doch kanns geschehn, daß dieses weitgereiste
Gefühl versöhnlich sich zu Ruhe legt.

    Wenn irgendwo, in schön geliebtem Hause
Herkömmliches mit Kommendem sich mischt,
von Mißtraun fern und ferne vom Applause:
wie atmet man, wie segnet man die Pause,
wie dankt man dann, erinnert und erfrischt!

    Da war nicht Krieg gemeint, da ich dies schrieb
in einer Nacht. Kaum Schicksal war gemeint,
nur Jugend, Andrang, Ansturm, reiner Trieb
und Untergang der glüht und sich verneint.

    Und Dürer zeichnete das »Große Glück«
ganz übergroß, doch irdisch Stück für Stück,
des Frauen-Leibes fühlendes Gebäude.

    Wers überholt und blickt danach zurück,
verliert ein Ewiges: die große Freude.

    SONETT

    O wenn ein Herz, längst wohnend im Entwöhnen,
von aller Kunft und Zuversicht getrennt,
erwacht und plötzlich hört, wie man es nennt:
»Du Überfluß, Du Fülle alles Schönen!«

    Was soll es tun? Wie sich dem Glück versöhnen,
das endlich seine Hand und Wange kennt?
Schmerz zu verschweigen war sein Element,
nun zwingt das Liebes-Staunen es, zu tönen.

    Hier tönt ein Herz, das sich im Gram verschwieg,
und zweifelt, ob ihm dies zu Recht gebühre:
so reich zu sein in seiner Armut Sieg.

    Wer hat denn Fülle? Wer verteilt das Meiste? –
Wer so verführt, daß er ganz weit verführe:
Denn auch der Leib ist leibhaft erst im Geiste.

    Da blüht sie nun schon an die achtzehn Winter
die »Freie Vereinigung Gleichgesinnter«.

    Möge sich mancher noch fähig finden,
sie für einen Abend zu binden, –

    und daß sie ihm (läßt er sie wieder frei)
stets von der gleichen Gesinnung sei.

    DER GAST

    Wer ist der Gast? Ich war’s in Ihrem Kreis.
Doch jeder Gast ist mehr zu seiner Stunde;
denn aus des Gastseins ururaltem Grunde
nimmt etwas an ihm teil, was er nicht weiß.

    Er kommt und geht. Er ist nicht von Bestand.
Doch fühlend plötzlich, daß man ihn behüte,
erhält er sich im Gleichgewicht der Güte
gleich ferne von bekannt und unbekannt.

    AUF EINEM LAMPENSCHIRM
〈1〉
    Sei der Flamme, die hinter dem Schirme brennt,
mein Name immer so transparent,
wie für des eigenen Herzens Schein
ich selber möchte durchsichtig sein.

    〈2〉
    Käm des Teufels Namen vor das Licht,
es wäre verfinstert, man sähe es nicht;
wir wiederum sind nicht klar genug:
drum bleibt in Schwarz unser Namenszug.

    〈3〉
    Die Lampe ist wie das Jüngste Gericht,
da führt man keinen mehr hinters Licht;
ein Hinter-dem-Lichte giebt es nicht.
    Jeder ist vor dem Licht und

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