Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gedichte

Die Gedichte

Titel: Die Gedichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
Vom Netzwerk:
das läuft
weiter, weiter … wie in seinen Zeige-
finger – : stand, mit Atem überhäuft …

    Mädchen, reift dich der Sommertag?
Abends, in warmer Hand Wachtelschlag,
steht der Liebende da.

    Sieht wie dein kleines Fenster dich schmückt,
daß dir Haltung und Lächeln glückt,
ahnt er von nah.

    Kühl ist die Tür schon, bis morgen früh
kältet sie gründlich aus.
Aber dein Freund ist heiß. Oh glüh,
glüh und reiß ihn ins Haus!

    Daß ich deiner dächte am Kamine?
Nein, du irrst, ich lese. – Ach, du weinst?
Kannst du wollen, daß ich wieder diene?
Denn ich liebte nicht: ich diente einst.

    Du bezwangst, was noch in mir des Knaben
Trotz und Widerstand und Schwäche war,
ich verschrieb mit blutenden Buchstaben
dir mein erstes eignes Jahr –
Statt zu reiten, Olga, statt zu jagen,
kniet ich bei dir, während jeder ging
kniet ich , Seidenes um mich geschlagen,
das von deiner Gnade niederhing.

    Fühltest du dann immer, daß ich kniete?
Oder wußtest du: er sieht nicht her? –
Ach, ich war die Muschel, Aphrodite,
die dich trug, und in mir war das Meer.

    Laß mich sanft in deinem Tagebuche
blättern, Urgroßtante, Ahnin, laß – .
Ich weiß selbst nicht, welchen Satz ich suche.
Unruh, Zweifel, Sorge, Liebe, Haß –
alles dieses gilt nicht mehr das gleiche.
Wüßtest du, wie sehr wir anders sind!
Längst zerfiel die Lieblingsbank am Teiche –
Und dein Wind, einst Liebliche, dein Wind … .

    Dein: weil er so eingeweiht das leichte
Haar dir löste aus dem Blumen-Ring – ,
dich verließ und drüben dich erreichte,
winkend schied und wieder dich empfing – ,

    kann er noch entstehn aus unsrer Luft?
Oh auch uns umdrängt es frühlingsüber.
Oh auch uns ist Wind Gefahr – , und Duft
schon Entscheidung … . Aber was ward trüber?

    Kummer? – Tante, oh, ihr hattet ihn!
Und ihr littet gut – , ihr wart nicht weichlich,
doch ein Mond war, der euch unvergleichlich
durch die dichteste Verhängnis schien.

    Rose riß in deinen lieben Finger
ihres Dornes kurzen Namenszug – ,
Krankheit, Ahnung – , keines war geringer,
jeder ging durchs starke Haus und trug

    Schicksal. Briefe drangen ein, selbst Zeitung
wirkte schon ins Wartende hinein;
Kinder trieben ihre Vorbereitung,
und Erwachsne mußten sein – :

    Alles dieses läßt sich kaum verändern.
Ja, ihr kanntet schon den Flackergeist,
der in plötzlich aufgerührten Ländern
die Paläste niederreißt – ;

    meintet fast, ihr hättets überstanden,
wenn nach manchem bös bedrängten Jahr
schließlich doch ein Übriges vorhanden
und die Ernte leidlich war – .

    Selbst das Wilde hatte seine Ehre,
neu aus Untergang gedieh Paris – ,
rund ins Heitre stieg die Montgolfière
(wie’s ein Kupfer im Kalender wies – );
vieles hob sich rasch, um rasch zu stürzen,
und vielleicht ists dies, was uns verwirrt:
daß die Zwischenräume sich verkürzen.
Urgroßtante! stünd ich wie ein Hirt

    manchmal nächtens da und hätte diesen,
diesen Himmel über meinem Haupt – ,
unten, unter meinem Fuß, die Wiesen –
(beide Dinge hast auch du geglaubt)

    stünde nur und ließ es mir gewähren,
– ob es nun für uns ist, oder nicht –
und die Sterne in dem Großen Bären
spannten mir das wache Angesicht.

    Ach, nur manchmal! und ich träte heiter
in das Haus zurück ums Morgengraun:
einig weithin. Denn ich reichte weiter
als zu dir. Das älteste Vertraun

    klärte mir mein überbrachtes Blut.
Denn was trennt uns, sag mir, von der ganzen
Welt – , ob sie nun wandelt oder ruht?
Hier November – , aber Pomeranzen

    glühen irgendwo … : was hindert mich,
sie zu wissen! … . .

    Halt! Nun will ich lesen,
unter deines Herzens Himmelsstrich
hinbewegen mein erwärmtes Wesen.

    War der Windstoß, der mir eben
ungefähr ins Fenster fuhr,
nur ein blindes Sich-erheben
und Sich-legen der Natur?

    Oder nutzte die Gebärde
ein Verwesner heimlich aus?
Langte aus der dumpfen Erde
in das fühlentliche Haus?

    Meistens ist es nur wie Wendung
eines Schlafenden bei Nacht – ,
plötzlich füllt es sich mit Sendung
und bestürzt mich mit Verdacht.

    Ach, was bin ich kaum geübter
zu begreifen, was es meint, –
hat mich ein im Tod getrübter
Knabe nahe angeweint?

    Will er mir (und ich versage!)
zeigen, was er hier verließ –?
Mit dem Winde stieß die Klage,
doch er stand vielleicht und schrie’s!

    In Karnak wars. Wir waren hingeritten
Hélène und ich, nach eiligem dîner.
Der Dragoman hielt an: die Sphinxallee – ,
ah! der Pilon: nie war ich so inmitten

    mondener Welt! (Ists möglich,

Weitere Kostenlose Bücher