Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gedichte

Die Gedichte

Titel: Die Gedichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
Vom Netzwerk:
feiert und gilt;
du, nach Leier und Schwan, überlebendes, letztes
langsam vergöttlichtes Bild.

    Wir gebrauchen dich noch, leicht in die Häuser gerahmte
Form, die uns Weite versprach.
Doch das verlassenste oft irdische Fenster ahmte
deinen Verklärungen nach!

    Schicksal warf dich dorthin, sein unendlich gebrauchtes
Maß für Verlust und Verlauf.
Fenster aus stetem Gestirn, wandelergriffen taucht es
über den Zeigenden auf.

    Welcher gelegene Ort: sich an den Quellen begegnen,
die eine irdische Kraft wärmt auf den nämlichen Grad
unseres eigenen Bluts. Kann man deutlicher segnen,
als es hier die Natur, die überströmende, tat?

    Oft scheint sie feindlich und fremd, ganz in sich selber beschäftigt,
läßt sie uns gleichsam geschehn zwischen Unruh und Ruh;
doch wie ergänzt sie uns schön, wenn sie uns einmal bekräftigt:
rein, aus der Tiefe hervor, stimmt sie uns Zögernden zu.

    Da mit dem ersten Händereichen schon
hast du dich rein mir in die Hand gegeben:
so hört man in dem ersten Orgelton
das ganze Lied sich unaufhaltsam heben.

    Das ganze Lied mit Opfer, Wandlung, Sieg.
(Wie ward ich des vergangnen Wartens inne!)
Und wie es mit dem starken Anbeginne
mein Horchen und Gehorchen überstieg.

    DIE WEIDE VON SALENEGG

    Einstens pflanzten sie die Wappen-Weide,
eine Frage an der Zukunft Heil.
Lebende und Tote, schien es, beide
nahmen an des Wachstums Hoffnung teil.

    Sie gedieh. Der Erde Kraft bejahte
das dem Baum verbündete Geschlecht:
jedesmal wenn sich ein Frühling nahte,
gab der Himmel seinem Antrieb recht.

    Wie nicht an des Baumes Überwinden,
wie nicht an des Stammes Überstehn
einen Glauben, eine Deutung binden?

    Wenn wir ein Vertrautes dauern sehn,

    dauern wir mit ihm; so wuchs der Baum.
Aus dem immer stärkern Stammgebäude
warf er jährlich seine grüne Freude
in den freudig zugestimmten Raum.

    Aber Wachsen heißt auch Altern. Endlich
gab die greise Baumgestalt sich auf,
und mit Sorge sah man unabwendlich
den sich still erschöpfenden Verlauf.

    Des vergreisten Stammes Rinde klaffte:
man gewahrte durch den dürren Riß
mehr und mehr die ganz unwesenhafte
saftverlassne leere Finsternis.

    Unter Sturm und Überwintern immer
weiter offen stand die Höhle lang,
schließlich zog in dieses schwarze Zimmer
obdachlos ein fremder Untergang.

    Nur durch einer letzten Wurzel Leitung,
(in dem Hohlraum hängend wie verjährt),
schien des heitern Laubes Zubereitung
noch für eine kleine Zeit gewährt.

    Niemand achtete der welken Fäden,
selbst des Gärtners Sorgfalt täuschten sie;
denn wir leben näher an den Schäden,
als an eines Wunders Melodie.

    Dies vollzog sich dennoch. Wunderbares
atmete im Armsein des Verfalls;
heimlich stieg die Stimme jedes Jahres
innen auf und stärkte diesen Hals.

    Langsam markte er sich aus zum Stamme,
und nun steht die Wandung, die verfällt,
schützend da, wie man um eine Flamme,
welche kämpft, die hohlen Hände hält.

    Envoi : Möge nun des starken Baumes Häutung
weithin für den Stammbaum gültig sein:
Mit dem Baum erneut sich die Bedeutung
und der heimlich wirkende Verein.

    GESCHRIEBEN FÜR
KARL GRAFEN LANCKOROŃSKI

    » N icht Geist, nicht Inbrunst wollen wir entbehren «:
eins durch das andre lebend zu vermehren,
sind wir bestimmt; und manche sind erwählt,
in diesem Streit ein Reinstes zu erreichen,
wach und geübt, erkennen sie die Zeichen,
die Hand ist leicht, das Werkzeug ist gestählt.

    Das Leiseste darf ihnen nicht entgehen,
sie müssen jenen Ausschlagswinkel sehen,
zu dem der Zeiger sich kaum merklich rührt,
und müssen gleichsam mit den Augenlidern
des leichten Falters Flügelschlag erwidern,
und müssen spüren, was die Blume spürt.

    Zerstörbar sind sie wie die andern Wesen
und müssen doch (sie wären nicht erlesen!)
Gewaltigstem zugleich gewachsen sein.
Und wo die andern wirr und wimmernd klagen,
da müssen sie der Schläge Rhythmen sagen,
und in sich selbst erfahren sie den Stein.

    Sie müssen dastehn wie der Hirt, der dauert;
von ferne kann es scheinen, daß er trauert,
im Näherkommen fühlt man wie er wacht.
Und wie für ihn der Gang der Sterne laut ist,
muß ihnen nah sein, wie es ihm vertraut ist,
was schweigend steigt und wandelt in der Nacht.

    Im Schlafe selbst noch bleiben sie die Wächter:
aus Traum und Sein, aus Schluchzen und Gelächter
fügt sich ein Sinn … . Und überwältigt sie’s,
und stürzen sie ins Knien vor Tod und Leben,
so ist der Welt ein neues Maß gegeben
mit diesem rechten Winkel ihres Knie’s!

    Wenn Lesen sich auch

Weitere Kostenlose Bücher