Die Gedichte
Schritte
sie heimlich abseits von den andern zieht
und täglich will, daß sie ihn neu erlitte,
kann nicht zernichten; kann sie nur entfernen.
Sie ist so leicht; zieht er sie weit genug,
so wird sie den unendlichen Bezug
viel früher als die Freundinnen erlernen
und selig jeden Morgen von den Sternen
sich wiederkommen, innen voller Flug.
AUS DEN NACHTWACHEN
DER SCHWESTER GODELIEVE
In dieser Nacht starb ihr ein alter Mann.
Nichts war zu tun, und sie war vorbereitet.
Ungläubig, wie wenn einer was bestreitet,
starrte sie hin. Er sah sie an
und starb dabei; beinah gedankenlos,
wie alte Männer in den Hospitälern
ausgehn von einem Luftzug in der Lunge.
In ihrem Dunkel griff die junge
Schwester nach sich: sie fand sich hart und stählern.
Aber auf einmal wurde etwas groß
in ihr wie Heimweh nach dem Alten, der
plötzlich so weit war; und als hätte er
sie fallen lassen (er, der nichts besaß)
blieb sie zurück: ganz ohne jedes Maß
für das was ist. Ob keiner von den Achten
sie rief und brauchte im verhängten Saale?
Sie sehnte sich, in Müh zu übernachten;
denn ratlos fühlte sie zum ersten Male
die nahen Männer, welche alle wachten.
DER URSPR UNG DER CHIMÄRE
Der Engel jüngster, als sein übersüßer
mündiger Samen stand bis an den Rand,
kam zu den offenen Heiligen ins Land.
Doch voller Mißtraun schlossen sich die Büßer
und hatten nicht den Liebenden erkannt.
Die Tiere aber waren außer sich.
Da riß der Engel seine Lust nach innen
und ging die ganze Nacht, ging und verglich
sein Auge mit dem Aug der Tigerinnen.
Bis schließlich eine büßende Hetäre
am Eingang einer Königsgruft
ihn anschrie, ob die Nacht denn ewig währe.
Da wollte er, daß diese da gebäre
(es lag ein Wesen in der Luft),
und führte sie zu Männern an der Fähre
und gab ihr wieder ihren Duft.
REQUIEM
FÜR EINE FREUNDIN
Geschrieben am 31. Oktober,1. und 2. November 1908in Paris
Ich habe Tote, und ich ließ sie hin
und war erstaunt, sie so getrost zu sehn,
so rasch zuhaus im Totsein, so gerecht,
so anders als ihr Ruf. Nur du, du kehrst
zurück; du streifst mich, du gehst um, du willst
an etwas stoßen, daß es klingt von dir
und dich verrät. O nimm mir nicht, was ich
langsam erlern. Ich habe recht; du irrst
wenn du gerührt zu irgend einem Ding
ein Heimweh hast. Wir wandeln dieses um;
es ist nicht hier, wir spiegeln es herein
aus unserm Sein, sobald wir es erkennen.
Ich glaubte dich viel weiter. Mich verwirrts,
daß du gerade irrst und kommst, die mehr
verwandelt hat als irgend eine Frau.
Daß wir erschraken, da du starbst, nein, daß
dein starker Tod uns dunkel unterbrach,
das Bisdahin abreißend vom Seither:
das geht uns an; das einzuordnen wird
die Arbeit sein, die wir mit allem tun.
Doch daß du selbst erschrakst und auch noch jetzt
den Schrecken hast, wo Schrecken nicht mehr gilt;
daß du von deiner Ewigkeit ein Stück
verlierst und hier hereintrittst, Freundin, hier,
wo alles noch nicht ist ; daß du zerstreut,
zum ersten Mal im All zerstreut und halb,
den Aufgang der unendlichen Naturen
nicht so ergriffst wie hier ein jedes Ding;
daß aus dem Kreislauf, der dich schon empfing,
die stumme Schwerkraft irgend einer Unruh
dich niederzieht zur abgezählten Zeit – :
dies weckt mich nachts oft wie ein Dieb, der einbricht.
Und dürft ich sagen, daß du nur geruhst,
daß du aus Großmut kommst, aus Überfülle,
weil du so sicher bist, so in dir selbst,
daß du herumgehst wie ein Kind, nicht bange
vor Örtern, wo man einem etwas tut – :
doch nein: du bittest. Dieses geht mir so
bis ins Gebein und querrt wie eine Säge.
Ein Vorwurf, den du trügest als Gespenst,
nachtrügest mir, wenn ich mich nachts zurückzieh
in meine Lunge, in die Eingeweide,
in meines Herzens letzte ärmste Kammer, –
ein solcher Vorwurf wäre nicht so grausam,
wie dieses Bitten ist. Was bittest du?
Sag, soll ich reisen? Hast du irgendwo
ein Ding zurückgelassen, das sich quält
und das dir nachwill? Soll ich in ein Land,
das du nicht sahst, obwohl es dir verwandt
war wie die andre Hälfte deiner Sinne?
Ich will auf seinen Flüssen fahren, will
an Land gehn und nach alten Sitten fragen,
will mit den Frauen in den Türen sprechen
und zusehn, wenn sie ihre Kinder rufen.
Ich will mir merken, wie sie dort die Landschaft
umnehmen draußen bei der alten Arbeit
der Wiesen und der Felder; will begehren,
vor ihren König hingeführt zu sein,
und will die Priester durch Bestechung reizen,
daß sie mich legen vor das stärkste Standbild
und fortgehn und die
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