Die Gefährtin Des Lichts erbin2
meine Hände und führte sie nach vorn. Ich fühlte den Stoff seines Kittels, den er ausgezogen und als Schutz gegen die Splitter über die Fensterbank gebreitet hatte.
»Versuch, dich vom Baum weg abzustoßen, wenn du springst«, sagte er. Als ob er ständig Frauen erklärte, wie sie in den Tod springen müssen.
Ich nickte und lehnte mich über den Vorsprung hinaus. Dabei versuchte ich herauszufinden, wie ich mich am besten abstoßen konnte. Wind stieg von unten auf und hob einige meiner Haarsträhnen hoch. Für einen kurzen Moment war meine Entschlossenheit dahin. Schließlich bin ich auch nur ein Mensch — oder wenigstens sterblich, wenn schon kein Mensch.
Ich rief mir Maddings Bild ins Gedächtnis und wie er mich am Ende angesehen hatte. Er wusste, dass er starb; wahrscheinlich wusste er sogar, dass ich daran schuld war. Dennoch lag weder Hass noch Abscheu in seinem Ausdruck. Er hatte mich immer noch geliebt.
Meine Angst verflog. Ich bewegte mich rückwärts ein Stück vom Fenster weg.
Sonnenschein sagte drängend über die Rufe der Wachen hinweg: »Oree, du musst ...«
»Sei still«, flüsterte ich. Dann nahm ich Anlauf und sprang durch die Öffnung. In der Luft breitete ich meine Arme aus.
Brausender Wind war das Einzige, das ich hörte. Meine Kleidung flatterte und verursachte einen stechenden Schmerz. Meine Haare, die jemand in dem Versuch, sie zu bändigen, zu einem Knoten gebunden hatte, zerrissen das Band und hingen wie eine Wolke lose hinter mir. Über mir. Ich fiel, aber es fühlte sich nicht wie ein Sturz an. Aufrecht schwebte ich auf einem Ozean aus Luft, hatte gar nicht das Gefühl, in Gefahr zu sein, spürte weder Belastung noch Angst. Ich entspannte mich und wünschte, es könnte so bleiben.
Eine Hand klatschte gegen mein Bein und riss mich aus meiner Glückseligkeit. Ich drehte mich träge und anmutig auf den Rücken. War das Sonnenschein? Ich konnte ihn nicht sehen. Mein Plan war also gescheitert, und wir würden beide sterben, wenn wir auf dem Boden aufschlugen. Er kehrte wieder ins Leben zurück. Ich nicht.
Ich streckte meine Hände nach oben in seine Richtung aus. Diesmal fing er sie ein und hätte sie fast wieder verloren. Dann aber zog er mich zu sich hin und umschlang mich mit seinen Armen. Ich entspannte mich angesichts seiner warmen Stabilität. Der rauschende Wind tat sein Übriges, um mich zu beruhigen. Gut. Ich musste nicht alleine sterben.
Mein Ohr lag an seiner Brust, deshalb spürte ich, wie er erstarrte, und hörte sein heftiges Keuchen. Dann ...
Licht.
Bei den Dreien, war das hell! Überall um mich herum. Ich schloss meine Augen und sah trotzdem noch Sonnenscheins Gestalt vor mir lodern. Er verdrängte die Finsternis, die mich normalerweise umgab. Ich spürte es an meiner Haut, so wie den greifbaren Druck von Sonnenstrahlen. Wir rasten auf die Erde zu wie Dinge, die ich mir vorgestellt hatte, aber von denen ich nie dachte, dass ich sie einmal mit eigenen Augen sehe. Wie ein Komet. Wie eine Sternschnuppe.
Unser Sturz verlangsamte sich. Das Brausen des Windes wurde leiser und sanfter. Etwas hatte die Anziehungskraft umgekehrt. Flogen wir jetzt? Wir schwebten. Wie weit waren wir gefallen, wie weit war es noch? Wie lange dauerte es, bis die Sonne verschwunden war und ...
Sonnenschein schrie auf. Sein Licht verschwand. Es war auf einmal erstickt worden und damit gleichzeitig die Kraft, die uns schweben ließ. Wir fielen wieder. Diesmal waren wir hilflos, und es gab nichts, das uns aufhielt.
Ich fürchtete mich nicht.
Aber Sonnenschein tat etwas. Er zappelte. Dabei keuchte er entweder vor Anstrengung oder als Reaktion auf seine Magie. Ich spürte, wie wir uns in der Luft drehten.
Dann schlugen wir auf dem Boden auf.
15
»Ein Gebet an fragwürdige Götter«
(Aquarell)
Jemand schrie. Hoch, dünn, schneidend. Nervtötend. Ich versuchte, zu schlafen, verdammt. Ich drehte mich um und hoffte, dass ich meine Ohren von dem Geräusch abwenden konnte.
Sobald ich meinen Kopf bewegte, überkam mich Übelkeit mit rasender Geschwindigkeit und erstaunlicher Macht. Ich konnte gerade noch meinen Mund öffnen und einen lauten, pfeifenden Atemzug machen, bevor die Wellen kamen. Ich erbrach einen dünnen Strahl Galle, aber sonst nichts. Scheinbar hatte ich seit einiger Zeit nichts gegessen.
Mein Magen schien dennoch wild entschlossen zu sein, sich umzustülpen, und ignorierte die Tatsache, dass meine Lungen Luft brauchten. Ich kämpfte gegen den Drang an. Dabei
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