Die Gefährtin Des Lichts erbin2
langer Zeit«, sagte er, »wurde hier ein Gott gefangen gehalten. Er war ein schrecklicher, wundervoller, zorniger Gott. Wenn er bei Nacht durch diese Weißen Hallen streifte, hatte jeder Angst vor ihm. Während des Tages aber schlief dieser Gott. Und der Körper, das lebendige, sterbliche Fleisch, das für ihn Fußfessel und Eisenkugel zugleich waren, musste ein Eigenleben haben.«
Ich zog den Atem ein, als ich verstand. Ich wollte es nicht glauben. Er sprach selbstverständlich von dem Lord der Finsternis — aber der Körper, der am Tage lebte, war ...?
Hado verschränkte am Fenster seine Arme. Trotz des dunklen Fensters konnte ich diese Bewegung problemlos sehen, da er noch dunkler war.
»Ihr müsst wissen, dass das eigentlich kein Leben war«, sagte er. »All die Menschen, die den Gott fürchteten, hatten vor dem Mann keine Angst. Sie lernten schnell, ihm all die Dinge anzu- tun, die der Gott nicht duldete. Also lebte der Mann sein Leben bruchstückhaft — bei jedem Morgengrauen wurde er geboren und bei jedem Sonnenuntergang starb er langsam. Er hasste jede Sekunde. Zwei — tausend — Jahre — lang.«
Er warf mir einen Blick zu. Ich starrte ihn mit offenem Mund an.
»Bis der Mann plötzlich eines Tages befreit wurde.« Hado breitete seine Arme aus. »Er verbrachte die erste Nacht seines Lebens damit, die Sterne anzustarren und zu weinen. Am nächsten Morgen wurde ihm dann etwas klar: Er konnte zwar endlich sterben, so, wie er es sich seit Jahrhunderten erträumt hatte, aber er wollte es nicht. Man hatte ihm endlich ein Leben gegeben, ein ganzes Leben nur für ihn. Seine eigenen Träume. Es wäre ... falsch ... gewesen, das wegzuwerfen.«
Ich leckte mir über die Lippen und schluckte. »Ich ...« Ich zögerte. Ich hatte sagen wollen, ich verstehe, aber das stimmte nicht. Kein Sterblicher und wahrscheinlich auch kein Gott konnten Hados Leben verstehen. Sonnenschein hatte Lil und Dateh als Kinder Nahadoths bezeichnet. Hier war noch ein Kind des Lords der Finsternis, das noch außergewöhnlicher war als der Rest.
»Das sehe ich«, sagte ich. »Aber ...« Ich zeigte auf die Wände Elysiums. »Ist das hier ein Leben? Wäre nicht etwas Normaleres ...?«
»Ich habe mein Leben lang der Macht gedient und darunter gelitten — mehr, als Ihr Euch je vorstellen könnt. Jetzt bin ich frei. Soll ich mir ein Haus auf dem Land zulegen und Gemüse anbauen? Eine Geliebte finden, die ich ertragen kann und einen Stall voller Gören heranziehen? Ein gewöhnlicher Bürger wie Ihr werden — mittellos und hilflos?« Unwillkürlich machte ich ein finsteres Gesicht. Er lachte. »Ich kenne nur Macht. Ich wäre bestimmt ein gutes Familienoberhaupt, meint Ihr nicht? Wenn ich erst einmal ein Vollblut bin.«
Er klang, als ob er das ernst meinte. Das machte mir wirklich Angst.
»Ich glaube, Lord Arameri wäre töricht, wenn er Euch in seine Nähe lässt«, sagte ich langsam.
Hado schüttelte amüsiert den Kopf. »Ich gehe Lord Itempas für Euch suchen.«
Es klang nicht richtig, Sonnenschein so zu nennen. Hado ging zur Tür, und ich nickte geistesabwesend. Als er die Tür erreicht hatte, kam mir ein Gedanke. »Was würdet Ihr an meiner Stelle tun?«, fragte ich. »Was würdet Ihr wählen? Ein Leben in Ketten oder den Tod?«
»Ich wäre für eine derartige Wahl dankbar.«
Angesichts seiner Geschichte war das verständlich, aber ... »Das ist keine Antwort.«
»Natürlich ist es das. Aber wenn Ihr darauf besteht ... Ich würde das Leben wählen. Solange es eine wirkliche Wahl ist, würde ich leben.«
Ich runzelte die Stirn und dachte darüber nach. Hado zögerte einen Moment und sprach dann erneut. »Ihr habt Zeit mit den Göttern verbracht, Eru Shoth. Ist es Euch entgangen? Sie leben ewig, aber die meisten sind noch unglücklicher als wir. Warum, glaubt Ihr, geben sie sich mit uns ab? Warum, glaubt Ihr, haben sie uns überhaupt erschaffen? Wir lehren sie den Wert des Lehens. Also würde ich leben, und sei es nur, um sie zu ärgern.« Er stieß ein freudloses Lachen aus. Dann seufzte er und verbeugte sich hämisch. »Guten Tag.«
»Guten Tag«, sagte ich. Nachdem er fort war, saß ich lange da und dachte nach.
Ich aß etwas. Das geschah mehr aus Gewohnheit denn aus Notwendigkeit. Schließlich nickte ich ein. Als ich erwachte, war Sonnenschein bei mir.
Ich hörte seinen Atem. Verschlafen und steif setzte ich mich auf. Da ich durch meine Qualen immer noch erschöpft war, war ich am Tisch neben den Uberresten meines Mahls
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