Die Gefährtin Des Lichts erbin2
Der gesamte Kontinent versank im Meer, und fast alle Einwohner starben.
Die wenigen Maro, die überlebten, ließen sich auf einer winzigen Halbinsel des Semn-Kontinents nieder. Die Arameri hatten sie ihnen als Beileidsbekundung für ihre Verluste überlassen. Wir begannen, uns Maroneh zu nennen. In der Sprache, die wir einst benutzten, bedeutete das: »die um Maro weinen«. Wir benannten unsere Töchter nach Trauer und unsere Söhne nach Zorn; wir diskutierten, ob es sinnvoll war, unser Volk wieder aufzubauen. Wir dankten Itempas dafür, dass er wenigstens eine Handvoll von uns gerettet hatte. Gleichzeitig hassten wir die Arameri, weil sie dieses Gebet überhaupt erst notwendig gemacht hatten.
Obwohl der Rest der Welt ihn beinahe vergaß — lediglich in ketzerischen Sekten und Gruselgeschichten für Kinder tauchte er noch auf —, blieb der Name unseres Zerstörers immer in unserer Erinnerung.
Nahadoth.
»Ich habe versucht«, sagte Sonnenschein, »Iihm gegenüber mein Bedauern zum Ausdruck zu bringen.«
Das ließ mich von einem Schock in den anderen fallen. »Wie bitte?«
Sonnenschein stand auf. Ich hörte, wie er einige Schritte ging. Wahrscheinlich war er zu der niedrigen Mauer gegangen, die am Rande des Daches stand. Seine Stimme vermischte sich mit dem Wind und den nächtlichen Geräuschen der Stadt, kam aber deutlich genug bei mir an. Seine Aussprache war präzise, ohne Betonung und in perfekter Tonlage. Er sprach wie ein Adliger, den man ausgebildet hatte, um Reden zu halten.
»Du wolltest wissen, weshalb man mich mit Sterblichkeit bestraft hat«, sagte er. »Du hast Si'eh danach gefragt.«
Ich riss meine Gedanken von der endlosen Wiederholung Nahadoth, Nahadoth, Nahadoth los. »Nun ... ja.«
»Meine Schwester«, sagte er. »Ich habe sie getötet.«
Ich erstarrte. Natürlich. Enefa, die Göttin der Erde und des Lebens, hatte sich mit ihrem Bruder Nahadoth, dem Lord der Finsternis, gegen Itempas verschworen. Itempas hatte sie wegen ihres Verrats getötet und Nahadoth den Arameri als Sklaven übergeben. Das war eine berühmte Geschichte.
Es sei denn ...
Ich leckte mir über die Lippen. »Hat sie ... etwas getan, um dich zu provozieren?«
Der Wind drehte sich. Seine singende, weiche Stimme wurde zu mir getragen, dann wieder fort, dann wieder zurück. »Sie hat ihn mir weggenommen.« »Sie ...« Ich hielt inne.
Das wollte ich nicht verstehen. Nahadoth war das Monster in der Finsternis, der Feind alles Guten in der Welt. Ich wollte ihn nicht einmal als den Bruder des Herrn des Lichts ansehen, geschweige denn als seinen ...
Aber ich hatte zu viel Zeit unter Gottkindern verbracht. Ich hatte erlebt, dass sie lüstern waren und hassten wie Sterbliche, dass sie sich wie Sterbliche gegenseitig verletzten, dass sie kleinlich und nachtragend waren wie Sterbliche und dass sie sich gegenseitig wie Sterbliche der Liebe wegen töteten ...
Zitternd stand ich auf.
»Willst du damit sagen, dass du den Krieg der Götter angefangen hast?«, fragte ich. »Willst du damit sagen, dass du den Lord der Finsternis geliebt hast... liebst. Willst du damit sagen, dass er jetzt frei ist und dass er dir das hier angetan hat?«
»Ja«, sagte Sonnenschein. Dann stieß er zu meiner Überraschung ein kurzes Gelächter aus. Es war so voller Bitterkeit, dass seine Stimme kurz schwankte und zitterte. »Das ist genau das, was ich sagen will.«
Meine Handflächen schmerzten, weil meine Hände den Stock fest umklammerten. Ich ging wieder in die Hocke und steckte den Stock in den Kies, damit ich nicht die Balance verlor. Dabei drückte ich meine Stirn gegen das glatte, alte Holz. »Das glaube ich dir nicht«, flüsterte ich. Das konnte ich nicht glauben. So sehr konnte ich mich nicht in der Welt, den Göttern und einfach allem irren. Die gesamte Menschheit konnte sich nicht so sehr irren.
Oder doch?
Sonnenschein wandte sich zu mir. Ich hörte, wie sich der Kies unter seinen Füßen bewegte.
»Liebst du Madding?«, fragte er.
Die Frage kam völlig unerwartet und hatte mit unserer Diskussion überhaupt nichts zu tun. Deshalb dauerte es einige Sekunden, bevor mein Mund in Aktion trat. »Ja. Gute Götter, natürlich liebe ich ihn. Aber warum fragst du mich das jetzt?«
Kies knirschte rhythmisch. Er kam zu mir herüber. Seine warmen Hände ergriffen meine, die immer noch den Stock umklammerten. Ich war völlig überrumpelt. Er löste meine Hände von dem Stock und half mir auf die Füße. Dann tat er eine Weile nichts. Er schaute mich
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