Die Gefährtin Des Lichts erbin2
einen dicken Bademantel gehüllt hatte, führte sie mich zurück zu meinem Zimmer. Dort zog ich die Gewänder an, die sie mir gebracht hatte: ein einfaches Hemd zum Uberziehen und einen knöchellangen Rock, der hübsch um meine Knöchel schwang. Die Unterwäsche war einfach und saß locker. Sie passte nicht genau, aber es genügte. Es gab auch Schuhe — weiche Hausschuhe. Das war ein dezenter Hinweis darauf, dass meine Entführer nicht die Absicht hatten, mich hinauszulassen.
»Schon besser«, sagte Jont, als ich fertig war. Sie klang zufrieden. »Jetzt siehst du wie eine von uns aus.«
Ich berührte den Saum des Hemdes. »Ich nehme an, dass die Kleidung weiß ist.«
»Wir tragen kein Weiß. Weiß ist die Farbe der unechten Reinheit und führt diejenigen in die Irre, die sonst nach dem Licht suchen würden.« In der Art, wie Jont das sagte, lag ein gewisser Singsang. Das brachte mich zu der Annahme, dass sie etwas herunterbetete. Aber weder in der Weißen Halle noch anderswo hatte ich je so ein Lehrgedicht gehört.
Unmittelbar danach läutete irgendwo im Haus eine schwere Glocke. Unwillkürlich schloss ich die Augen, um ihren nachhal- lenden, wunderschönen Klang zu genießen.
»Abendessen«, sagte Jont. »Ich habe dich gerade rechtzeitig fertig bekommen. Unsere Anführer haben darum gebeten, dass du heute Abend mit ihnen speist.«
Beklommenheit breitete sich in mir aus. »Wäre es vielleicht möglich, darauf zu verzichten? Ich bin immer noch ein wenig müde.«
Jont nahm erneut meine Hand. »Tut mir leid. Es ist nicht weit.«
Also folgte ich ihr. Ich hatte das Gefühl, durch ein endloses Labyrinth von Fluren zu gehen. Wir begegneten anderen Mitgliedern der Neuen Lichter. Jont begrüßte die meisten, blieb aber nicht stehen, um mich vorzustellen. Ich beachtete sie kaum. Dennoch stellte ich fest, dass die Organisation viel größer war, als ich ursprünglich angenommen hatte. Ich bemerkte ein Dutzend Leute allein in dem Flur vor meinem Zimmer. Anstatt ihnen aber zuzuhören, zählte ich unterwegs meine Schritte, damit ich mich schneller zurechtfinden konnte, falls es mir jemals gelingen sollte, meinem Zimmer zu entkommen. Von einem Gang, der nach Varsmusk-Räucherwerk roch, gingen wir in einen anderen. Dieser schien auf der gesamten Länge offene Fenster zu haben, durch die Abendluft hereinströmte. Dann ging es zwei Treppenabsätze hinunter — vierundzwanzig Stufen — um eine Ecke — rechts herum — und über offenes Gelände — geradeaus und von der Ecke aus gesehen in einem Dreißiggradwinkel. Dann erreichten wir einen großen, geschlossenen Bereich.
Dort waren wir von vielen Menschen umgeben. Die meisten Stimmen schienen sich unterhalb meines Kopfes zu befinden. Vielleicht saßen die Menschen. Ich hatte seit geraumer Zeit Essen gerochen. Dieser Geruch vermischte sich mit dem von Laternen, Menschen und dem ständig wahrnehmbaren Grün des Baums. Ich nahm an, dass es sich um einen riesigen Speisesaal handelte.
»Jont.« Die Altstimme einer Frau, weich und fesselnd. Dann weckte ein Geruch nach Hirasblüten meine Aufmerksamkeit. Er erinnerte mich schmerzlich an Maddings Haus. Wir blieben stehen. »Ich werde sie ab hier begleiten. Eru Shoth? Wenn Ihr mit mir kommen würdet?«
»Lady Serymn!« Jont klang durcheinander, alarmiert und aufgeregt gleichzeitig. »N-natürlich.« Sie ließ mich los. Dann ergriff eine andere Hand meine.
»Wir haben Euch erwartet«, sagte die Frau. »Hier entlang ist ein privates Speisezimmer. Ich werde Euch rechtzeitig vor Stufen warnen.«
»G-gut«, sagte ich dankbar. Jont hatte das nicht getan. Deshalb hatte ich mir schon zweimal den Zeh gestoßen. Unterwegs dachte ich über dieses neue Rätsel nach.
Lady Serymn hatte Jont sie genannt. Sie war mit Sicherheit kein Gottkind. Nicht bei all den Gottkind-Hassern. Sie musste eine Adlige sein. Ihr Name allerdings war Amn; eine dieser zungenbrecherischen Konsonantenabfolgen, die sie so mochten. Bei den Amn gab es aber keine Adligen, außer ... Nein, das war unmöglich.
Wir betraten durch eine breite Tür einen kleineren, ruhigeren Bereich. Plötzlich gab es neue Eindrücke, die mich ablenkten, hauptsächlich Essensgeruch. Gebratene Ente, Meeresfrüchte, grünes Gemüse und Knoblauch, Weinsoße und andere Aromen, die ich nicht erkannte. Das Essen der Reichen. Serymn führte mich zu dem Tisch, der mit diesem Festmahl gedeckt war. Erst jetzt bemerkte ich, dass dort bereits andere Menschen saßen. Das Essen hatte mich vollkommen
Weitere Kostenlose Bücher