Die Gefährtin des Medicus
nach wenigen Bissen genug davon zu haben und weitere Gerichte nachzustopfen. Sie probierte von allem, aß wild durcheinander, Zuckerbrot, das während der Festtafeln als Zwischengericht gereicht wurde, Konfekt aus Piniennüssen, Rosinen und Orangen, Apfel – und Birnenkuchen, Pasteten aus Feigen und Paradiesäpfel. Sie aß so schnell, dass ihr der Speichel aus dem Mund troff und ihre Wangen alsbald verklebt waren.
Alaïs dachte an ihre Strenge, als Roselina zu gierig nach dem Heiltrunk gegriffen hatte. Offenbar hielt sie sich selbst nicht an das Gebot, manierlich zu essen. Ihrer runden, weichen Gestalt und dem hängenden Kinn war anzusehen, dass sie sich ihrer Gier nicht selten hingab – im übrigen einer Gier, die auch Alaïs nicht fremd war.
Sie nahm nun auch von dem Zuckerbrot und tauchte es tief in ein Butterfass. Beides war so weich, dass es in ihrem Mund förmlich schmolz, und jetzt verstand sie, warum Marguerite so schnell und so viel essen konnte – weil man nicht mühsam darauf kauen musste.
Sie folgte ihrem Beispiel, machte sich über alle möglichen Platten her, aß Süßes und Salziges, Scharfes und Saures wild durcheinander.
»Ich habe noch nie so viel gegessen«, bekannte Alaïs mit vollem Mund, »und so gut …«
Obwohl Marguerite genießerisch schmatzte, wiegelte sie ab. »Ach was«, meinte sie leichtfertig. »Das ist noch gar nichts im Vergleich zu dem, was die hohen Gäste des Papstes zu essen bekommen. Nicht die gewöhnlichen Gesandten natürlich, so er diese denn überhaupt zu Tisch bittet. Aber wenn er Könige empfängt, dann werden schon einmal gebratene Vögel aufgetragen, die mit nichts anderem gefüttert worden sind als mit Mandeln.«
Alaïs steckte ihren Finger in den Honigtopf und leckte ihn ab. »Und welchen Nutzen hat das?«
»Nun, offenbar wird das Fleisch besonders zart. Und es werden die besten aller Fische serviert, nicht etwa nur Lachs und Forellen, wie sie feine Leute essen, sondern Störe und Delphine.«
Obwohl sie eine Fischerstochter war, hatte Alaïs noch nie von Letzteren gehört. »Was sind Delphine?«
Marguerite zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht. Nur, dass ihr Fleisch so weich ist, dass es im Mund zergeht, und von weither gebracht wird. Aber das Besondere sind nicht nur die Gerichte, sondern auch, wie man sie präsentiert. Einmal hat man einen ganzen Hirsch serviert. Man hat ihm das Fell abgezogen, aber sein Geweih auf dem Kopf belassen, und nachdem die einzelnen Stücke gebraten worden waren, hat man sie solcherart übereinandergelegt, dass er wieder wie ein lebendiges Tier aussah.«
Alaïs kniff die Augen zusammen. Ihr Hunger war längst gestillt, die Gier hielt noch an – auch wenn sie zwischendurch aufstoßen musste und sich ein übler Geschmack in ihrem Mund bildete.
»Und woher weißt du das alles?«, fragte sie misstrauisch. »Ich dachte, Frauen dürften dem Papst nicht zu nahe kommen.«
Jene Erfahrung im Hof des Papstpalastes, da man sie fast gewaltsam fortgeschafft hatte, war ihr noch allzu deutlich in Erinnerung.
»Nun, edle Frauen lässt man zumindest bis zum Konsistorium im Erdgeschoss vor. Auch wenn der Papst nicht sonderlich glücklich ist, wenn es geschieht. Stell dir vor: Einmal war dementia zu Gast, die Witwe von König Louis. Sie wollte hier in Avignon auf ihren Bruder warten, unseren König Robert. Der Papst hat sie zwar kurz empfangen, ihr jedoch kein Gemach angeboten, sondern sie auf die mühselige Reise zu den Dominikanerinnen von Aix geschickt, damit sie dort eine Unterkunft finde.«
Sie lachte mit vollem Mund. Noch mehr Saft lief ihr über das Kinn, Krümel hafteten an ihren Mundwinkeln.
»Wenn aber nur edle Frauen in den Palast dürfen, so begreife ich immer noch nicht, warum du so viel über die dortigen Sitten weißt!«, meinte Alaïs und klang schnippisch. Sie konnte es nicht benennen, aber irgendetwas an Marguerite war ihr unheimlich. Ein wenig zu schnell schien jene ihre Launen zu wechseln, zu unberechenbar deuchte sie der Wechsel von der schroffen Befehlshaberin zur besorgten Mutter und nun zu einem gefräßigen, geschwätzigen, schier unersättlichen Weib. Auch wenn ihr das Schrille, Gierige nicht fremd war und dem eigenen Wesen glich, wappnete sie sich insgeheim vor dem, womit Marguerite sie als Nächstes überraschen würde.
Marguerites Lachen wurde lauter. Anstatt ihre Frage zu beantworten, erzählte sie unter lautem Kichern: »Weißt du, was das größte Problem ist? Wenn Könige oder Kaiser zu Besuch kommen, so
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