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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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werden sie schon vor der Stadt von den Kardinälen empfangen und dann feierlich nach Avignon geleitet. Im Palast dürfen sie dann dem Papst die Füße küssen, die Ranghohen unter ihnen gar den Friedenskuss mit ihm tauschen. Jedes Mal freilich stellt sich das Problem, wie der Papst nun die Gattinnen der hohen Herren empfangen soll. Er will die gekrönten Häupter nicht beleidigen, indem er ihre Frauen vor den Kopf stößt – aber sich von ihnen gleichfalls küssen zu lassen, ist ihm unvorstellbar.«
    »Und was geschieht stattdessen?«
    »Soviel ich weiß, ist mittlerweile eine Lösung gefunden worden. Die hochwohlgeborenen Gattinnen dürfen zwar die Haut des Heiligen Vaters nicht berühren, aber als Zeichen ihrer Ehrerbietung zumindest dessen Siegelring küssen. Ich nehme an, sie erproben im Voraus, wie sich das zustande bringen lässt, ohne dass ihre Lippen auch nur flüchtig seine Finger streifen.«
    Sie küsste sich selbst schmatzend auf die Hand, um es in falscher Weise vorzumachen – solcherart bekundend, dass ihr die Zurückhaltung der edlen Frauen nicht lag.
    Danach wurde sie ernst. »Und woher ich das weiß?«, griff sie Alaïs’ Frage auf, und ihre Worte klangen nicht länger belustigt, sondern hart. »Ich halte die Ohren und die Augen offen, das ist alles. Sonst überlebt man nicht in einer Stadt wie Avignon. Und genau genommen ist es das Einzige, was ich je konnte – die Augen und Ohren offen halten. Oder nein«, sie schüttelte den Kopf, »das ist nicht alles: Ich war auch gut im Beinespreizen.«
    Alaïs senkte den Blick, um den Anschein zu geben, letzteres Geständnis überhört zu haben. Doch Marguerite hatte sich nicht einfach verplappert, um es gleich danach zu bereuen. Vielmehr trat sie nun forsch auf Alaïs zu und zwang sie, ihr ins Gesicht zu sehen.
    »Oder was denkst du, wer Roselinas Vater ist?«, fragte sie, und ihr Blick wurde hart wie ihre Stimme, verkrampft wie das Lächeln und traurig wie ihre plötzlich herabhängenden Schultern. »Ein Ehemann, dem ich ein sittsames Weiblein bin? Nein, es gibt keinen Ehemann. Und ich bin viel zu arm geboren, um ein sittsames Weib zu sein.«
    Alaïs wusste nichts dazu zu sagen, sondern schwieg betreten. Die Frauen von Alaïs würden leugnen, dass Armut und Anstand ein Gegensatz waren. Doch noch mehr verwirrte sie, dass nicht zusammenpasste, was Marguerite sagte und wie sie es tat: Sie sprach über den Verlust der Ehre, als würde sie sich verachten, und legte einen Tonfall darein, als würde sie zugleich damit prahlen. Und wenn es stimmte, dass sie arm und ehrlos war – woher nahm sie dann die Macht, über diesen Haushaltzu befehlen, und die Dreistigkeit, sich an den Speisen gütlich zu tun?
    Alaïs brachte nichts mehr herunter, aber Marguerite fraß immer mehr in sich hinein. Eben griff sie nach einem kleinen Kästchen aus Holz, das auch ohne Inhalt verführerisch duftete. Konfekt wurde darin aufbewahrt, noch erleseneres als jenes, das Alaïs schon gekostet hatte.
    »Sieh nur!«, rief Marguerite. »Dieses Küchlein ist mit Gold überzogen!«
    Im fahlen Mondlicht schimmerte es nur schwach. Was Marguerite als Gold ausgab, hätte ebenso gut Butter sein können.
    »Echtes Gold?«, rief Alaïs. »Und man isst es?«
    Marguerite machte den Mund weit auf und stopfte es hinein. »Ja«, lachte sie kauend. »Man isst es.«
    Alaïs blickte sie halb bewundernd, halb befremdet an. »Wie viel Brot man dafür kaufen könnte!«, stieß sie aus.
    Marguerite schluckte. »Willst du wie die Armen denken oder wie die Reichen? Wie ich schon sagte: Ich war arm, bitterarm. So arm will ich nie wieder sein – und meine Tochter soll es niemals werden.«
    Sie stellte das Kästchen ab, hob plötzlich ihre Hände, die im Mondlicht fettig glänzten.
    »So isst man nicht. So sollte man nicht essen«, sagte sie plötzlich.
    Alaïs war verwundert. Bis jetzt hatte sich Marguerite nicht anmerken lassen, dass sie sich ihrer Gier wegen schämte, und auch jetzt klang sie trotzig. Dennoch fuhr sie fort: »Ich bin, die ich bin. Man kann mich mästen und in feine Kleider stecken, aber die Bauerntochter wird man mir nicht austreiben können. Roselina hingegen soll es besser haben. Sie ist eine duftende Rose, ich nur eine stinkende Margerite.«
    In Alaïs’ Magen grummelte es. Was im Mund so köstlich geschmeckt hatte, fühlte sich im Magen an wie schwere Steine. Sie legte ihre Hand auf den Bauch, der gewölbt war, als würde sie ein Kind tragen.
    »Darfst du … darfst du das denn einfach?«,

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