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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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schnitt.
    »Irgendwann reißt seine Kleidung, und er steht nackt vor uns«, hatte Marguerite grinsend prophezeit, als sie ihn das letzte Mal gesehen hatten. Das war eine Weile her; Giacinto war seitdem wieder auf Reisen.
    Alaïs beschleunigte den Schritt. Trubel und Menschenmassen mochten ihr den Tag nicht vergällen. Doch sie hasste den Gestank der Stadt, der sie jetzt im Sommer stets wie ein Schlag traf und der von den verdreckten Gassen kam oder von den trüben Flüssen.
    Sie war erleichtert, Aureis und Emys
Domus
zu erreichen. Nicht nur das Haus war den beiden Brüdern übergeben worden, in den letzten Jahren hatte der Papst ihnen auch häufig Geschenke überbringen lassen, die es behaglich machten: Mobiliar aus dunklem Eichenholz, einige kostbare Teppiche, Kerzenständer und – ein ganz besonderes Geschenk, das die kalten Winter, derer sie nun auch schon zwei erlebt hatte, besser ertragen ließ – kupferne Wärmflaschen. Heute war es zu heiß, um sich jene Wohltat vor Augen zu halten, die sie versprachen, aber es hatte Stunden gegeben, da Alaïs Emy überaus dankbar war, wenn er ihr eine von diesen auslieh.
    »Emy!«, rief sie nun seinen Namen. »Emy, bist du da?«
    Als keine Antwort ertönte, pochte sie an die Holztür. Vielleicht war er in Pernes, wo die Einkäufer die Besorgungen für den päpstlichen Hof machten. Innerhalb des Kreises jener war er wegen seiner Zuverlässigkeit und Gründlichkeit zu einem der Höchsten aufgestiegen. Er musste sich nicht um Milch und Getreide bemühen, sondern einzig um erlesene Luxuswaren.
    Da niemand ihr öffnete, stemmte sich Alaïs gegen die Türe. Wie meist war sie nicht verriegelt und gab nach.
    Durchdringende Düfte erwarteten sie in der Stube. Zu den vielen Geschenken, die der Papst machte, gehörten auch Obst und
    Salz, Brennholz oder Kohle, Besteck und Tafelzübehör, und – stets zu Ostern und zu Weihnachten ausgeteilt – Gewürze.
    »Emy?«, rief sie wieder.
    Kein Laut kam von ihm, aber sie hörte nun gedämpft Aureis Stimme und folgte ihr hinaus in den kleinen, von schiefen Mauern begrenzten Innenhof. Mit etwas Mühe hätte man hier einen Garten schaffen können, doch statt der Saubohnen, wie die Minderen Brüder von Avignon sie gerne ernteten, kletterten nur ein paar verdorrte Weinranken über die Wände. Vielleicht hatte Emy irgendwann versucht, den Hof so behaglich zu gestalten wie das Innere des
Domus
und es dann aufgegeben, weil der Boden doch stets aufs Neue von Gästen zertrampelt wurde – jenen Gästen, zu denen Aurel auch in dieser Stunde sprach.
    »Der kindliche Fötus entsteht, wenn sich zwei Spermien treffen, eines des Mannes und eines der Frau«, hörte sie ihn dozieren.
    Er stand in der Mitte des Hofes. Um ihn herum hockten junge Männer, Studenten allesamt, die meisten von ihnen im nahen Kloster der Benediktiner untergebracht. Dort fanden nicht selten auch die Vorlesungen statt, in den Fächern, die zum Baccalauréat führten, oder in jenen, die die Spezialisierung auf eine Disziplin vorsahen. Doch Aurel, seit einigen Monaten Professor der Universität von Avignon, lehrte lieber im privaten Umfeld, und das verstand Alaïs umso besser, als sie hörte, wie er das heutige Thema vertiefte.
    »Durch das Menstruationsblut beginnt der Fötus zu wachsen. Es ist nämlich unerlässlich für dessen Ernährung, weshalb eine Frau, die schwanger geht, monatlich nicht blutet. Die Plazenta, die nach der Geburt abgeht, ist die gestockte Masse von jenem Menstruationsblut, das nach den neun Monaten übrig geblieben ist.«
    Die jungen Männer hatten den Kopf gehoben. Als sie die junge Frau erblickten, die sich zu ihnen gesellt hatte, erröteten sie. Doch Aurel bemerkte nichts davon, sondern dozierte ungerührt weiter.
    »Aufgrund seiner Entstehung aus Spermien und Menstruationsblut ist der menschliche Körper eine Masse aus spermatischem und menstruellem Gewebe. Die Nerven zum Beispiel, sie bestehen aus spermatischem Gewebe, das Fleisch hingegen aus menstruellem.«
    Einer der jungen Männer ließ die Wachstafel, auf die er bis eben noch einzelne Wörter geschrieben hatte, sinken, räusperte sich und deutete unbehaglich auf Alaïs. Doch immer noch war Aurel für sie blind.
    »Kommen wir nun zu der Frage, wie die männlichen und weiblichen Spermien am besten zueinanderfinden. Die bestmögliche Größe des Penis liegt zwischen vier und sechs Fingerbreit. Auf diese Weise ist er lang genug, dass er in die Nähe des Uterus vordringen kann. Zugleich ist er nicht zu lang,

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