Die Gefährtin des Medicus
wiederholten Mal. »Du wüsstest es, wärst du nur ein wenig achtsamer für das, was auf der Welt geschieht.«
Eine Weile noch blieb Alaïs bei Emy hocken, nachdem sich Aurel ins obere Stockwerk zurückgezogen hatte. Zunächst schrieb Emy einen Brief an ihre Mutter, in dem – wie von ihr vorgegeben – vonvielen Verpflichtungen die Rede war, die die Tochter in Avignon hielten. Später hatte er begonnen, etwas auf eine Wachstafel einzuritzen. Alaïs beugte sich vor, doch es war zu mühsam, die einzelnen Buchstaben zu entziffern.
»Ich schreibe den Essensplan für die päpstliche Tafel«, erklärte er, noch ehe sie fragen konnte. Er klang stolz, fast ein wenig wie Aurel, wenn jener sich seiner Talente rühmte. Auch wenn Emy immer ein wenig träger und versonnener wirkte als sein besessener Bruder, an seinen Aufgaben hier in Avignon hatte er sichtlich Gefallen gefunden.
»Es gibt strenge Regeln, welche Vorspeisen aufzutragen sind. Pasteten und gebackene Feigen werden es morgen sein. Dann folgen zwei Hauptgänge, entweder zwei Fleischgerichte oder zwei Fischgerichte. Mischen darf man beides nie – es sei denn, es handelt sich um Wild. Dann kommen die Zwischengänge und schließlich der Nachtisch aus Früchten und Konfekt.«
Sie betrachtete sein konzentriertes Gesicht.
»Du bist zufrieden hier, nicht wahr?«, stellte sie fest.
Sie dachte an seine Worte, mit denen er sie damals, am ersten Morgen in der Stadt des Papstes, hatte beschwichtigen wollen: dass Aurel bald nach Abwechslung gieren und darum nicht für ewig in Avignon bleiben würde, dass er der Enge der Gassen und noch mehr der Enge mancher Geister rasch überdrüssig wäre und neue Pläne schmieden würde, die ihn von hier fortführten. Er hatte sich geirrt – und war offenbar froh darüber.
»Ich denke doch«, meinte er knapp.
»Warum machst du dir dann diese … Sorgen?«
Er ließ die Wachstafel sinken. »Du hast davon auch keine Ahnung, nicht wahr?«
»Wovon?«
»Dass der Papst Krieg führt. Nicht hier, sondern weit fort. Und doch spricht man in Avignon über nichts anderes.«
Was immer ein Krieg bedeutete – ihrem Geschmack nach hatte ein solcher zu viel mit Blut und Schweiß, mit Verwundeten und Toten zu tun. Gerne hätte sie verzichten können, mehr zu erfahren, doch Emy schob die Wachstafel zur Seite und redete sich die Sorgen von der Seele.
»Bertrand du Poujet«, brach es aus ihm hervor. »Bertrand du Poujet sollte im Auftrag des Papstes die Ghibellinen in Italien unterwerfen und solcherart dessen Autorität in Bologna und der Romagna wiederherstellen. Am Anfang war er erfolgreich. Aber dann … dann haben sich seine Begehrlichkeiten auf Mailand gerichtet, und dort ist er, wie man nun erfährt, in schlimme Bedrängnis geraten. Ludwig von Bayern kam dem dortigen Ghibellinen Matteo Visconti zu Hilfe, und Bertrand musste die eben errungene Stadt notgedrungen wieder räumen. Zwar verlor er nicht auch die Gebiete der Romagna – gespottet wurde auf Seiten des feindlichen Lagers dennoch über ihn.«
Er endete mit bedrücktem Gesicht.
»Aber was hat das mit Aurel zu tun?«, fragte Alaïs ungeduldig. Einst, als Giacinto sie ins ferne Florenz hatte führen wollen, war sie neugierig auf das Land jenseits des Pass de Lärche gewesen. Mittlerweile war ihr Avignon abwechslungsreich und aufregend genug.
Emy zuckte die Schultern. »Nicht viel …«, meinte er zögerlich. »Vielleicht so gar nichts. Es ist nur …«
»Ja?«
»Es ist nur, dass des Papstes Laune sichtlich getrübt ist. Von verlorenen Schlachten muss er hören, von einem Mann, der sich anmaßt, Kaiser zu sein, obwohl der Papst dessen Gegenspieler immer favorisiert hat. Und all die Streitigkeiten mit den Franziskanern erst …« Alaïs’ gelangweiltes Gesicht war ihm offenbar nicht entgangen, denn etwas schneller setzte er hinzu: »Sein Temperament war stets unberechenbar, gefürchtet seine Zornausbrüche. Doch so deutlich wie jetzt klagte früher niemand über den schwierigen Umgang mit ihm. Was ist, wenn Aurel ihn eines Tages reizt? Ohne es zu wissen, weil er nichts von seinen Sorgen versteht?«
»Ich dachte, der Papst schätzt gerade das an ihm«, rief sie leichtfertig. »Dass er mit ihm nicht über diese Sorgen reden muss.«
»Mag sein, mag sein, aber da ist immer noch Gasbert de Laval. Ganz gleich, wie viele Jahre nun schon vergangen sind – er gönnt einem Mann, der kein Priester ist, nicht diesen Rang, nicht dieses Vertrauen des Papstes, heute so wenig wie damals, als wir
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