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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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»Roselina ist auch ein Bastard«, entfuhr es ihr. »Und trotzdem das Kostbarste in deinem Leben.«
    »Weil sie einen Vater hat, der sie versorgt … und somit auch mich. Um eine wie dich hingegen schert sich niemand. Ich tu’s, Alaïs. Aber nur, damit du mir mit meinem Kind hilfst, nicht damit du dein eigenes brüllendes Bankert großziehst.«
    Sie rümpfte abfällig die Nase. Trotz der Nähe und Freundschaft zu Alaïs war ihr Tonfall oft bösartig und beißend, vor allem dann, wenn Alaïs an die Frage rührte, wer Roselinas Vater war. Auf Marguerites Ratschläge hörte Alaïs dennoch – nie gab sie den Grundsatz auf, bei Männern Spaß und Zerstreuung zu suchen, ihnen beides auf ihre Kosten aber nie zu geben.
    »Nun komm schon«, drängte Alaïs und zog die Kleine vom Fischteich fort. »Ich bringe dich nach Hause, und dann«, sie seufzte, um zu zeigen, dass es ihr eher eine lästige Pflicht als ein ehrliches Bedürfnis war, »und dann muss ich einen Brief an meine Mutter schreiben.«
     
    Sie führte Roselina zu Navales Haus, um sich danach gleich wieder in das Gedränge der Gassen zu stürzen. Anders als einst blickte sie sich nicht neugierig und suchend um. Längst kannte sie jede Straße, jeden Platz, jede Kirche. Sie wusste, wo gebaut wurde und wo man Häuser niederriss, um noch größere zu errichten, wo die Straßen gepflastert waren und welche Orte man mied, weil dort die meisten Pferde durchgetrieben wurden und ihr Mist den Boden verklebte. Schwierig genug war es, überhaupt sauber zu bleiben – obwohl es sich viele vornehme Männer trotzdem nicht nehmen ließen, sich nach der neuesten Mode zu kleiden, und die war weiß. Sie von morgens bis abends reinlich zu halten, so wie es auch Roselinas Aufgabe war, stellte eine nicht geringere Herausforderung dar, als sich im Trubel seinen Weg zu bahnen.
    Avignon platzte aus allen Nähten. Schon damals, bei ihrer Ankunft vor mehr als zwei Jahren, hatte Alaïs kaum verstehen können, wie so viele Menschen auf so wenig Platz zu leben vermochten. Doch seitdem hatte die Stadt noch mehr Händler, noch mehr Kunsthandwerker, noch mehr Steinmetze, noch mehr Zimmerleute angezogen – und noch mehr Tauben, die mit ihren rissigroten Krallenfüßen durch die Gassen staksten oder dicht an ihrer aller Köpfe vorbeiflatterten.
    Auf der Suche nach Platz für ihre Werkstätten und Häuser wurden die Menschen immer einfallsreicher: Es gab nicht wenige, die sie mitten auf belebten Straßen errichteten, darunter sogar ein Kardinal. Und da dadurch manch ein Weg versperrt war, wurden auf den Dächern Gehsteige errichtet. Auch außerhalb der Stadt, wo die Häuser windschief standen und auf den unebenen Straßen manches Wagenrad zu Bruch kam, wurde es zunehmend enger. Nicht selten blieben die gebrochenen Achsen einfach achtlos liegen, sodass Nachkommende darüber stürzten und sich sämtliche Knochen brachen. Mochte Avignon eine junge, aufblühende Stadt sein – ihr Boden und der ihrer Vororte war grindig und vergrätzt wie der Schädel eines ungewaschenen Alten.
    Wenigstens hatte man den riesigen Schweinemarkt gleich neben dem Friedhof von Saint – Pierre außerhalb der Stadt untergebracht, weil niemand das ständige Gequietsche der Tiere, die sich gegenseitig in der Enge tot traten, ertragen konnte. Juweliere, Goldschmiede und Geldwechsler hatten ihrerseits diesen Platz erobert und hockten in winzigen, überhitzten Boutiquen, in denen für höchstens einen oder zwei Kunden Platz war.
    Alaïs grüßte nun manchen dieser Männer – bezogen doch nicht wenige ihr Handelsgut von Giacinto Navale. Manchmal fragte sich Alaïs, ob irgendwo in Avignon ein Solidus gewechselt wurde, an dem der Florentiner keinen Anteil besaß, und ob irgendwo Männer Waren feilboten, die nicht von ihm abhängig waren, weil sie von ihm etwas gepachtet oder geborgt hatten, weil er ein dunkles Geheimnis von ihnen wusste oder weil er sie mit den richtigen Kontakten versorgt hatte. Längst musste er so reich sein, dass er wohl nie wieder einen Finger hätte krumm machen müssen – und auch nie mehr prüfend über seine Geldbörse hätte streifen müssen, um sich zu vergewissern, dass sie prall gefüllt war. Doch das tat er noch immer, desgleichen wie der harte Zug um seinen Mund, der Gier verhieß und Hunger, nichtgeschwunden war. Verändert hatte sich nur, dass seine Beinkleider noch strammer saßen, förmlich zu platzen drohten, und dass sein Gürtel nicht mehr locker saß, sondern sich förmlich ins Fleisch

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