Die Gefährtin des Medicus
Vor allen anderen Pflichten bist du sein Leibarzt!«
Aurel hob abwehrend die Hand. »Und als solcher habe ich nicht viel zu tun. Er tut doch längst, was ich ihm rate, und nicht zuletzt darum ist er gesund. Er isst Fisch mit grünem Traubensaft anstatt fettes Fleisch. Er verzichtet auf Nussöl und trinkt jeden Morgen Wasser, um den Magen zu reinigen. Er geht nicht zu bald nach dem Essen schlafen, weil die Nahrung erst das untere Ende des Magens erreichen soll.«
Aurel klang zufrieden über den Gehorsam eines Mannes, dem man eine große Vorliebe für Ordnung und Logik nachsagte. Nicht zuletzt darum hatte Johannes XXII. einst die Rechtswissenschaften als sein Studienfach auserkoren, und aus dem gleichen Grund mochte es ihm nicht schwer fallen, sich den Anweisungen eines Mediziners zu beugen, so sie denn vernünftig klangen.
»Also … was sollte ich ihm noch sagen?«
Emy seufzte, und an seiner überdrüssigen Miene erkannte Alaïs, dass sie nicht zum ersten Mal darüber diskutierten. »Es geht nicht darum, was du zu ihm sagst, sondern dass du ihm zuhörst. Er … er befindet sich in einer höchst schwierigen Lage. Wahrscheinlich ist er froh, wenn er sie mit einem besprechen kann, dem er vertraut. Und dir vertraut er!«
»Was habe ich schon mit der hohen Politik zu tun?«
»Jeder in dieser Stadt zollt ihr großes Interesse! Wie kannst du nur ein derartiger Ignorant sein! Ach, Aurel …«, wieder seufzte er. »Du bist kein Priester. Du bist nicht einer von … ihnen, sondern jeden Tag aufs Neue auf die Gunst des Papstes angewiesen. Entweder du stimmst ihn dir geneigt – und das bedeutet, dass du Zeit bei ihm verbringen musst – oder du lässt dich weihen.«
»Du weißt, was das bedeuten würde!«, rief Aurel entschieden. »Man kann nicht Priester und
Cyrurgicus
gleichzeitig sein.«
»Rühmst du nicht oft genug den großen Theodoric, Sohn von Ugo da Lucca? War jener nicht Dominikanermönch und setzte trotzdem seine medizinische Karriere fort? Zu operieren ist doch nur dem verboten, der regelmäßig die Messe liest – und das tun nicht alle der Minderen Brüder.«
Zutiefst befremdet über das Ansinnen runzelte Alaïs die Stirn. Unmöglich war es, sich Aurel als Mönch zu denken, wenngleich sie bei genauerer Betrachtung zugeben musste, dass er manches mit einem solchen gemein hatte: das asketische Leben, das einem einzigen Zweck geweiht ist und das sämtliche Annehmlichkeit, die der gemeine Mensch sucht, mit Verachtung oder Gleichgültigkeit straft.
Aurel schüttelte den Kopf. »Warum drängst du mich, Bruder, wozu mich nicht einmal der Papst drängt?«
Emy gab nach – jedoch nur in der einen Sache. Aurel in Ruhe lassen wollte er nicht. »Hat der Papst mit dir über den Kriegszug gesprochen?«
Aurel zuckte nur die Schultern.
»Nun sag schon!«
»Was geht’s dich an?«
Das fragte sich Alaïs allerdings auch. Warum erwies sich Emy als derart hartnäckig? Und von welchem Krieg schwafelte er?
Auch abends in den Tavernen wurde nicht selten von diesem oder jenem König gesprochen, von aufrührerischen äbten und abgesetzten Bischöfen, von abtrünnigen Ländern und von Unruhen außerhalb Avignons. Nichts davon hätte sie freilich wiedergeben können, wenn man sie danach gefragt hätte – und Aurel schien ebenso wenig davon zu wissen.
»Ich habe keine Ahnung von Kriegen«, bekannte er freimütig, um etwas versöhnlicher hinzuzufügen: »Letztens haben wir über den Körper des Menschen geredet und die Auferstehung des Fleisches. Der Mensch sei nur vollkommen, sagt der Papst, wenn sich die Seele im Körper befände. Folglich könne auch nur zur Anschauung Gottes gelangen oder in die Hölle verdammt werden, wer einen solchen Körper habe. Und das wiederum bedeute, dass die Seelen nicht unmittelbar nach dem Tode, sondern erst am Jüngsten Tag, wenn sie sich nach der Auferstehung des Fleisches wieder mit dem Körper vereinigen, in den Himmel oder die Hölle eingehen.«
Erstaunlich viele Worte machte er, doch Alaïs war sich sicher, seine Rede bliebe auf weniger begrenzt, stünde nicht der Gedanke an den menschlichen Körper im Mittelpunkt.
»Du bist mächtiger als du denkst, Aurel«, sagte Emy leise. »Der Papst weiß, dass du unparteiisch bist, dich nicht zum Sprachrohr missbrauchen lässt, keine eigenen politischen Interessen verfolgst. Du könntest ihm Ratschläge geben, die weit über das hinausgehen, was er essen sollte und was nicht und …«
»Und welche Ratschläge sollten das sein?«
Emy seufzte zum
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