Die Gefährtin des Medicus
nach Avignon gekommen sind.«
»Hat er das seitdem jemals wieder gesagt?«
»Ich habe gehört, dass er mit aller Macht zu verhindern suchte, dass Aurel als Professor an der Universität lehrt. Es ist ihm nicht gelungen, und seitdem ist sein Blick noch missbilligender geworden. Er scheint ständig auf der Suche zu sein – nach einer Schwäche von Aurel, einem Fehler, irgendeinem Geheimnis. Es wundert mich schon lange, dass er nicht herausgefunden hat, was …«
Er hielt inne.
»Dass er was nicht herausgefunden hat?«, fragte Alaïs.
Emy senkte seinen Blick. »Richtig«, meinte er leise. »Du weißt ja gar nichts davon.«
»Wovon weiß ich nichts?« Alaïs wurde ungeduldig.
»Du weißt nicht, was damals in Montpellier geschehen ist«, erklärte er zögernd, »damals, nach dem Tod von Bernard de Gordon …«
Alaïs stöhnte. Für gewöhnlich war es Aurel, der eine Fülle von Namen vor ihr ausbreitete. Seit wann war jene schlechte Angewohnheit auf den Bruder übergegangen?
»Wer zum Teufel ist Bernard de Gordon?«
»Bernard de Gordon war Professor in Montpellier. Er hat Aureis Talent erkannt, ihn gefördert. Er ließ ihn sogar sein
Demonstrator
sein. Das ist jener, der vorführen darf, was der Professor erklärt, ja, dem jener auch gestattet, Leichen zu sezieren, wohingegen es sonst nur ihm vorbehalten bleibt. Aber vor fünf Jahren starb er unerwartet …«
»Und dann?«, fragte Alaïs. »Was ist dann geschehen?«
In diesem Augenblick ertönten die Schritte von einer Horde Edelknappen und Waffenknechte. Alaïs fuhr erschrocken herum, denn sie konnte sich deren plötzliches Erscheinen nicht erklären. Doch Emy beschwichtigte sie mit einer knappen Geste. Diejungen Männer hätten nicht ausreichend damit zu tun, für den Schutz des Papstes zu sorgen, erklärte er. So wurden sie, ob es ihnen nun gefiel oder nicht, nicht selten damit beauftragt, Einkäufe von einem Ort zum anderen zu schleppen. Das wiederum taten sie unter seiner Aufsicht und wollten ihn nun fragen, wohin sie was zu bringen hatten.
Alaïs stand auf. Der Augenblick, Emy noch weiter zu bedrängen, war verstrichen. Und bis zu ihrem Wiedersehen hatte Alaïs – schlichtweg, weil es ihr nicht wichtig genug war – vergessen, dass die Brüder ein Geheimnis teilten, das in die Zeit zurückreichte, die sie in Montpellier zugebracht hatten. Erst einige Wochen später fiel es ihr wieder ein.
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XIX. Kapitel
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Das Unheil begann an einem Tag, da ganz Avignon auf den Beinen war, ein großer Tag, einer von denen, über den man sich die Gesichter rot schwatzt und von dem man später seinen Kindern erzählt. Denn dann würde man es wieder schmecken – jenes stundelange Stehen im dichten Gedränge, jenen Blick auf die Farben der prächtigen Roben, jenen säuerlichen Geschmack nach Wein, der zu später Abendstunde an das gemeine Volk ausgeschenkt wurde.
Große Feiern waren der Stadt nicht fremd. An die vier Dutzend Feste, zu denen das Volk zusammenströmte, um Spalier zu stehen, waren im letzten Jahr gezählt worden – feierliche Prozessionen vor besonderen Messfeiern, Empfänge von Botschaftern oder die übergabe der goldenen Rose an einen christlichen Prinzen, die stets am vierten Fastensonntag stattfand. Die Rose war ein außergewöhnliches Schmuckstück, mit Balsam und Muskat bestrichen, in deren Mitte ein Saphir prangte, und es galt als besondere Ehrerbietung des Heiligen Vaters, wenn er sie verlieh. Im April diesen Jahres hatte außerdem ein gewisser Raimund Johannis eine gewisse Bernarda geheiratet, die Tochter des Petrus de Via, der wiederum ein Neffe des Papstes war. Das einfache Volk hatte sich tagelang das Maul über das prunkvolle Hochzeitsgeschenk zerrissen: zwei goldene, mit Perlen und kostbaren Steinen besetzte Kronen seien es gewesen – zu sehen hätten diese aber nur die wenigsten bekommen. Aläis hatte sich vor Marguerite gerühmt, mehr darüber zu wissen – standen doch Emy und Aurel im Dienst des Papstes. Fantasievoll hatte sie die Kronenbeschrieben, obwohl weder der eine noch der andere darüber gesprochen, sie wahrscheinlich auch nie gesehen hatte.
Doch keines dieser Feste erregte so viel Aufsehen wie jenes Ende Juli. Die Vorbereitung währte viele Tage, und König Robert war eigens zu diesem Anlass nach Avignon gereist.
Emy berichtete ausführlich von den Geschenken, die der König dem Papst bei seiner Ankunft übergeben wollte. Ein Kamel war diesmal nicht darunter, jedoch ein weißer Schimmel, einige kostbare Ringe und
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