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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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nur liebevoll, aber sie konnte sie nicht ertragen, nicht seit damals, nicht seit jener Nacht.
    Ein halbes Jahr, nachdem sie Aurélie zu Grabe getragen hatten, starb Caterina. Es war ein gnädiger Tod für sie und ein grausamer für Ray, der tagelang nicht fassen wollte, dass sie zuerst gegangen war und das so plötzlich. Drei Tage lang hatte sie Kopfschmerzen gefühlt, am dritten so stark, dass sie sich kaum aufrecht halten konnte. Sie legte sich nieder, schloss die Augen und tat sie niemals wieder auf.
    Im Schlaf sei sie gestorben, hieß es, so wie Aurélie.
    Ab diesem Zeitpunkt konnte Alaïs nicht mehr schlafen. Sie mied das Bett, das ihr seit Monaten der einzige Zufluchtsort gewesen war, und blieb tagelang auf den Beinen. Sie fischte – mit karger Ausbeute – im Meer, weil Ray es verweigerte. Sie nahm den Fisch aus und salzte ihn, weil Caterina es nicht mehr tat. Mit Estela, der Frau ihres Bruders Felipe, der einst als Händler durch das Land gezogen war, seitdem er verheiratet war, jedoch immer länger in Saint – Marthe weilte, bereitete sie das Totenmahl vor.
    Estela schlug vor, Eintopf zu kochen und Fisch zu braten, doch das war Alaïs zu wenig. Sie verlangte vielmehr, es müssten solch feine Speisen auf den Tisch kommen, wie man sie in Avignon servierte – das sei sie Caterina schuldig. Jene sei schließlich als Grafentochter geboren worden, ihr Totenmahl sollte einer solchen würdig sein.
    Sie hatte kaum Gewürze für Pasteten, doch sie zerstampfte Pinien – und Granatapfelkerne mit einem Mörser. Sie schnitt die Feigen nicht einfach auf, sondern zerstampfte auch sie zu Mus. Selbst mit dem Fisch verfuhr sie ähnlich, indem sie ihn zerhackte.
    Nach dem Tag an der Herdstelle hörte sie, wie Estela zu Emy sagte, Alaïs habe offenbar den Verstand verloren. »Es ist, als koche sie für alte Menschen, die keine Zähne mehr zum Beißen haben.«
    Caterina war alt gewesen. Zum Zeitpunkt ihres Todes hatte sie an die fünfzig Jahre gezählt, aber sie hatte noch all ihre Zähne gehabt. Aurélie hingegen keinen einzigen. Sie hatte nie etwas zu sich genommen, nicht einmal einen Schluck Milch von ihren Brüsten.
    Jene schmerzten und juckten, als Emy Alaïs sanft nahm und nach Hause führte, geradewegs in ihr Bett. Obwohl sie es gerne weiter gemieden hätte, ahnte sie, dass sie sich nicht länger auf den Beinen halten konnte. Doch wenn sie schon liegen musste, dann wenigstens nicht allein.
    Sie klammerte sich an Emy fest und ließ ihn nicht gehen. »Ich will nicht schlafen und sterben«, sagte sie.
    »Das wirst du nicht. Du bist jung – und kräftig.«
    »Wer weiß, womit Gott mich noch bestrafen will.«
    »Warum soll Gott dich bestrafen?«
    Da erzählte sie es ihm. Dass sie an Roselinas Tod schuld war. Und dass ihr der himmlische Vater darum auch Aurélie geraubt hatte. Und noch mehr erzählte sie. Wie sie sich in der Grotte an Aurel geklammert hatte, in der Hoffnung, er könnte ihr Leben einhauchen und Sinn.
    Nun klammerte sie sich an Emy, und er erwies sich trotz aller Unbeholfenheit, die er nicht gänzlich verbergen konnte, als so viel weicher, so viel fürsorglicher als sein Bruder. Er streichelte ihr tränenüberströmtes Gesicht, ihre harten Brüste, ihren Leib, der ihr – obwohl so viel Zeit seit Aurélies Geburt vergangen war – immer noch aufgedunsen vorkam. Sie wehrte sich nicht, ließ es zu, schob den Stoff ihrer Kleider beiseite, auf dass sie die Liebkosungen auf der nackten Haut erfahren konnte.
    Sie glühte unter seinen Händen, als hätte sie Fieber – und kurz wünschte sie sich das auch: wünschte, die Hitze würde steigen und steigen, sie langsam verbrennen, bis nichts mehr von ihr da war, nur Asche.
    Aber noch war sie da, und sie blieb da, rückte lediglich ein wenig zur Seite, damit Emy sich zu ihr ins Bett legen konnte, sie weiter streicheln und liebkosen, ihr weiter Wärme schenken. Unscharf erinnerte sie sich, dass er sie schon einmal umarmt hatte, damals in Avignon, als er ihr verlegen berichtet hatte, dass Aurel der Leibarzt des Papstes werden würde. Sie hatte ihn verachtet in diesem Augenblick, doch seine Umarmung war ihr brüderlich erschienen. Nun verachtete sie sich selbst so viel mehr als ihn, und seine Umarmung war nur am Anfang brüderlich, dann nicht mehr. Dann nämlich zog sie ihn auf sich, öffnete ihre Beine, schob ihr Kleid über die Hüften, begierig und fordernd, als hinge ihr Leben davon ab.
    Zunächst schluchzte sie, dann stöhnte sie. Irgendwann, er lagauf ihr, war in sie

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