Die Gefährtin des Medicus
Navale zu ahnen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete.
»Ich bin der Meinung, dass jeder diese Sprache beherrschen sollte. Auf dem Konzil von Vienne wurde vor nunmehr zehn Jahren beschlossen, an den Universitäten von Paris, Oxford, Bologna und Salamanca auch Arabisch zu lehren. Und der große Raimundus Lullus hat das noch früher erkannt: In Miramar hat er ein Kloster errichtet, wo Franziskanermönche sie erlernten. Dreizehn waren es an der Zahl. Und der große König Jaume I. hielt schützend seine Hand über sie.«
»Und als sie es konnten, fiel es ihnen dann leichter, die Heiden zu belehren?«
»Zumindest konnten sie sich mit den Heiden austauschen, und das war zunächst das Wichtigste.«
Erneut wollte sie nicht sagen, was sie wirklich dachte. Dass die meisten, denen angetragen wurde, diese heiseren Laute zu studieren, wohl empfänglicher waren für den Ruf derer, die die Heiden mit Feuer und Schwert ausmerzen wollten.
»Und was ist aus jenem Ort geworden? Miramar meine ich«, fragte indes Simeon, sichtlich fasziniert.
»Jene Schule ist geschlossen worden, leider. Raimundus Lullus wurde in der Nähe begraben. In der Kirche San Francisco. Wie oft wollte ich an seinem Grabe sitzen und beten. Nun, nicht mehr lange, und dann werde ich die Gelegenheit haben, es zu tun.«
Alaïs blickte ihn fragend an.
»Jener Ort Miramar liegt auf der Insel Mallorca, die einst König Jaume erobert hat«, erklärte Simeon.
»Und in zwei Tagen legen wir in der Ciutat de Mallorca an«, fügte Pio Navale hinzu. »Wir müssen unsere Vorräte auffüllen und haben auch diverse Waren meines Bruders mitgebracht, um sie dort zu verkaufen.« Er blickte forschend durch das ovale Fenster seiner Kajüte. »Wenn wir nur endlich wieder Wind bekommen …«
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XXVIII. Kapitel
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Fast unwirklich kam es Alaïs vor, als sie am nächsten Tag an der Reling stand und erstmals seit vielen Tagen nicht nur von blauem Wasser umgeben war. In der Ferne tauchte ein zunächst sandfarbener Punkt auf, der immer größer, immer felsiger, immer schroffer wurde und sich schließlich als Insel offenbarte. Der Sandton mischte sich mit dem dunkleren Braun der abfallenden Klippen, dann mit dem Grün der niedrigen, buschigen Bäume und schließlich mit gelblichen Feldern im flacheren Land rund um die Hafenstadt, auf die sie zusegelten.
Sie schwankte zwischen Vorfreude, wieder festen Boden unter den Füßen zu gewinnen, und Bedauern, dass jene grenzenlose Weite von einer Insel beschnitten wurde, auf der – inmitten des Meeres – Menschen lebten, handelten, kämpften, aßen, hungerten, liebten.
Als freilich das Stimmengewirr des Hafens zu ihr herüberschwappte, zählte vor allem eins: dass viele Menschen Lärm und Aufregung versprachen. Zu ihrem Erstaunen hatte Bianca beschlossen, das Schiff nicht zu verlassen. Festen Boden zu betreten deuchte sie nicht verführerisch – war er doch zuförderst fremder Boden. In ihrer Kajüte, so klein, so unbequem sie auch war, hatte sie sich hingegen eingerichtet.
Alaïs fragte sich, wie sich Bianca auf der Insel jenseits des Horizontes verhalten würde, doch der Gedanke daran führte in gesichtslose Fernen – wohingegen es hier am Hafen so viel zu erblicken gab.
Bianca war nicht die Einzige, die sich weigerte, das Schiff zuverlassen. Ein Genuese in Navales Gefolge, dem befohlen worden war, beim Entladen mancher Waren zu helfen, weigerte sich lautstark – auch dann noch, als man ihm Prügel androhte.
Alaïs, die sein Wüten verwirrt beobachtete, verstand nicht viel von dem, was er sagte, jedoch, dass er lieber sterben wolle, als einen Fuß auf diese Insel zu setzen.
»Es herrscht ein alter Krieg zwischen Aragon und Genua, seitdem sie sich um die Inseln Korsika und Sardinien streiten und vor allem um die Silberminen, die es auf Sardinien gibt«, erklärte Simeon. »Für diesen Mann ist Mallorca Feindesland.«
Pio Navale, der ebenfalls Zeuge jenes wütenden Auftritts geworden war, hatte schließlich Erbarmen und erlaubte dem Mann zu bleiben, wo er war. In Richtung des Juden murmelte er sein mittlerweile altvertrautes Sprüchlein: »Es würde viel weniger Kriege geben, wenn die Menschen mehr Sprachen beherrschten.«
Simeon verzog skeptisch sein Gesicht, und auch Alaïs mochte nicht daran glauben. Aber nun stand anderes an, nämlich auf dem schmalen Steg das Schiff zu verlassen. Anders als in Marseille erlaubte es hier die Wassertiefe, unmittelbar an der Ciutat anzulegen, anstatt kleine Beiboote nutzen zu müssen, um
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