Die Gefährtin des Medicus
das Land zu erreichen.
Flüchtig nahm Alaïs wahr, wie auch Aurel an Land ging. Sie hatte ihn in den letzten Tagen häufig beim gemeinsamen Abendmahl getroffen, doch seit jenem Abend hatte sie nicht mehr mit ihm allein gesprochen. Auch jetzt bot sich keine Gelegenheit, denn aus dem anfänglichen Gemurmel der Stimmen wurde ein regelrechtes Dröhnen.
Einst, als der große Eroberer Jaume I. die Insel den Mauren abgeluchst und somit das zustandegebracht hatte, was die mächtigen Grafen von Barcelona bis dahin vergebens versucht hatten, war er nicht nur von Katalanen begleitet worden, sondern auch von Abenteurern aus ganz Europa. Entsprechend bunt war bis heute die mallorquinische Gesellschaft.
Da waren prächtig gekleidete Kaufmänner aus Barcelona, deren elegantes Auftreten und deren unverhohlene Geldgier leicht mit Giacintos hätten mithalten können. Am Hafen überwachten sie Ankunft oder Beladung großer baskischer Frachtkähne, die Getreide, Alaun und Eisen transportierten. Männer aus der Gascogne hingegen brachten die Gewürze des Orients mit sich.
Nicht minder prächtig gekleidet waren die Händler, die hinter ähnlich kleinen Ständen hockten, wie Alaïs sie aus Avignon kannte. Sie handelten mit Tuch oder Gold – beides kam von Schiffen von der nordafrikanischen Küste – oder tauschten und liehen Geld.
Sie sprachen eine seltsame Sprache, nicht unähnlich der Laute, die Simeon Pio Navale beigebracht hatte, und darum lauschte jener sogleich gespannt.
»Das ist Hebräisch und doch wieder nicht!«, stellte er fest.
»Sie sprechen das Ladino«, erklärte Simeon, »’s ist ein altertümliches Katalanisch, das mit hebräischen Wörtern vermischt wird.«
Eine fremde Sprache hätten wohl auch sie gesprochen, aber sie machten den Mund nicht auf, während sie schwere Lasten den Hafen entlangschleppten – maurische Leibeigene, die einen von rüden Worten, die Unglücklicheren von Peitschenhieben angetrieben.
Simeons Blick war dem von Alaïs gefolgt, der entsetzt und angeekelt auf der ausgehungerten, dreckigen Schar hängen geblieben war.
»So geht es zu auf dieser Welt«, sagte er, wie stets lächelnd. »Ganz gleich, was Signore Navale denken mag. Hier werden die Heiden geknechtet, die man gefangen hat – und anderswo, in Granada zum Beispiel, sind es Christen, die man versklavt. Die Küsten hier werden nicht selten von maurischen Schiffen überfallen …«
Alaïs ging rasch weiter und stellte fest, dass dort, woher ein lautes Hämmern erklang, keine Mauren schufteten, sondern offensichtlich Mallorquiner.
Sie hatten den Hafen verlassen, waren zu den großen Befestigungsmauern gekommen, die mächtig, aber, da sie hell waren, nicht bedrohlich wirkten, und sahen, wie Steine und Lehm zu einem großen Gebäude geschleppt wurden, schon jetzt so hoch, dass sich dessen Spitzen im dunkelblauen Wasser des Hafens spiegelten.
»Die Kathedrale!«, rief Pio Navale ehrfürchtig. Bis jetzt hatte Alaïs nicht den Eindruck gehabt, er sei ein sonderlich frommer Mann. Vielleicht war er das auch nicht, sondern zeigte schlichtweg seine Begeisterung über solch einen großen, aufwändigen Bau. »La Seu nennt man sie im Volksmund.«
»Als die Stadt noch nicht Ciutat hieß, sondern Madinat Myurqa, stand hier eine Moschee«, warf Simeon ein. »Heute lässt man freilich keinen Heiden mehr in die Nähe. Die müssen sich im Hafen zu Tode schuften. Hier hingegen kämpfen die armen mallor – quinischen Bauern, deren Boden zu trocken ist, um ihr täglich Brot.«
Es war ohne Zweifel ein harter Kampf. Rotgesichtig und zerfurcht waren die Männer, die in der brütenden Hitze und dem trockenen Staubdunst Gerüste aus hölzernen Pfosten bauten und Mörtel rührten, Ziegelsteine schlugen und diese mit einer Wanne hochhoben.
»Jaume I. hat den Bau befohlen«, wusste Pio Navale zu erzählen und klang immer noch ehrfürchtig. »Das freilich muss Jahrzehnte her sein, und immer noch ist kein Ende des Baus in Sicht.«
Er nickte nachdenklich und fügte bekräftigend hinzu, dass die großen Taten des Menschen stets langen Atem brauchten, viel Mühsal und die Treue nachfolgender Generationen, die vollendeten, was die Väter begonnen hatten.
»Jaume II., der Sohn des großen Eroberers, ist in der Capella de la Trinidad begraben. Dort wurde er auch gekrönt, und …«
Mitten im Satz hielt er inne und fuhr herum. Der Boden wurde plötzlich von Huf getrappel erschüttert. Staub und Sand wirbelten hoch, als sich eine Gruppe von sechs Reitern
Weitere Kostenlose Bücher