Die Gefährtin des Medicus
behandelt. Dann fühlte sie die Hanfstricke, die um ihre Hände gebunden wurden und schmerzhaft in ihr Fleisch schnitten.
Mit dem Kopf voran war sie in eines der Boote geworfen worden, und dort blieb sie eine Weile liegen, von einer Woge der Fäulnis umgeben, die von den nassen Brettern hochstieg. Irgendetwas Schweres fiel auf ihren Rücken, vielleicht ein anderer Mensch, vielleicht ein Ruder. Kurze Zeit später setzte sich das Boot in Gang. Es schaukelte so heftig, dass sie meinte, ihr Magen müsste sich umdrehen. Obwohl nicht nur an den Händen, sondern auch an den Füßen gefesselt, kämpfte sie darum, sich wieder aufzurichten. Holzspreißel drangen in ihre Haut wie zuvor der Dorn, aber nach schier endlosen Bemühungen saß sie halbwegs aufrecht und konnte ihren Kopf am Bug des Bootes anlehnen. Ebenso groß war die Anstrengung, die sie nun erwartete: die Augen zu öffnen, gleichwohl sie die Lider geschwollen und schwer wie Blei deuchten.
»Sie werden uns verschachern«, murmelte sie. Das Erste, was sie sah, war die Ziegenfrau, gefesselt wie sie und nicht mehr fähig, ihren Besitz zu retten. »Auf irgendeinem ihrer heidnischen Sklavenmärkte werden sie uns verschachern.«
Niemand widersprach, niemand pflichtete ihr bei.
Mühsam drehte Alaïs ihren Kopf. »Aurel …«, stammelte sie. Jetzt erst ging ihr auf, dass er nicht mehr schrie. Seine Augen waren geschlossen, sein Kopf hing außerhalb des Bootes, so tief, dass seine Haare das Wasser streiften. Blut troff aus seiner Beinwunde, verkrustete, wurde schwarz. Er schien nicht mehr zu atmen.
»Aurel!«, flüsterte sie wieder. Sie kämpfte sich hoch, wollte zu ihm und erhielt einen unsanften Schlag von dem Ruderer.
Die Ziegenfrau schwatzte irgendetwas, wohl, dass sie sich besser nicht rührte, weil sonst das Boot umkippen würde.
Und wenn’s so wäre, dachte Alaïs, wenn wir alle ersöffen – was könnte schlimmer sein?
Der Gedanke, dass Aurel tot sein könnte, stimmte sie nicht mehr panisch, eher neidisch. In welch gnädiger Zwischenwelt er sich auch befand, er bemerkte nichts mehr von dieser übel machenden Bootsfahrt, von dem Gestank, von dem Geschrei der Mauren …
Warum eigentlich schrien diese derart durchdringend?
Nun erst gewahrte sie andere Boote rund um jenes, in dem sie saßen, sah auch, dass die Männer, die ruderten, plötzlich damit innehielten und sich erstaunte, verärgerte Blicke zuwarfen, dann etwas riefen, in einer fremden, kehligen Sprache, von der sie nicht auch nur ein Wort verstand. War das jenes Arabisch, das Simeon Navale beibringen wollte?
Das Schaukeln wurde schwächer. Das Boot, eben noch zielsicher in eine Richtung gelenkt, drehte sich einmal um die eigene Achse, nachdem der Ruderer still hielt.
Wieder kostete es sie unheimliche Anstrengung, den Kopf zu wenden, dann sah sie ein weiteres Schiff, das in die Bucht einlief. Vorhin, das hätte sie beschwören können, waren es nur vier gewesen.
Kurz flammte die Hoffnung auf, irgendein christlicher Seefahrer wäre gekommen, um die Mauren zu besiegen und ihnen die Beute abzuluchsen. Doch dann erkannte sie, dass die Männer auf dem anderen Schiff ebenso dunkel gekleidet waren wie die heidnischen Angreifer.
Seufzend ließ sie ihren Kopf zurücksinken. Das Schreien der Mauren freilich verstummte nicht. Immer heftiger wurden die Worte, die zwischen den einzelnen Booten hin und her gingen. War es Angst, die sie so hektisch miteinander sprechen ließ? Oder war es ein wüster Streit?
Er wurde unterbrochen, als plötzlich von weither ein durchdringender Pfiff ertönte. Jener genügte, damit die Ruderer ihr Werk wieder aufnahmen. Doch als sich die Boote in Gang setzten, fuhren sie nicht in Richtung der Schiffe, sondern zurück zum Ufer.
»Was geht hier vor?«, rief Alaïs überrascht. Aureis Kopf neigte sich immer tiefer, sodass das Wasser seine verfilzten Strähnen benetzte.
Die Ziegenfrau begann laut zu klagen.
Vielleicht verkaufen sie uns nicht als Sklaven, dachte Alaïs. Vielleicht bringen sie uns alle um.
Womöglich war das ein gnädigeres Geschick, ging es ihr durch den Kopf. Sie war viel zu erschöpft, um noch Angst zu haben. Nach nichts anderem sehnte sie sich, als wieder festen Boden unter den Füßen zu haben – und diente jener nur dem Zwecke, sie zu meucheln.
Doch ehe sie den Strand erreichten, hielten die Ruderer inne. Wieder gingen kehlige Worte durcheinander, dann beugte sichder Mann aus ihrem Boot über Alaïs. Sie fühlte kurz seinen heißen Atem, ehe er sie mit
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