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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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geschluckt, auf den sie schließlich geworfen wurde. Eine Weile blieb sie liegen, während ihre Welt schwarz und schmerzlos wurde. Dann ergoss sich eine Welle kalten Wassers über ihre Beine. Dort, wo der Dorn steckte, brannte es, und rasch fuhr sie auf, beugte sich über die Fußsohle und zog ihn heraus. Blut sickerte aus ihrer Wunde und erinnerte sie daran, dass der Schrecken sie nicht gemordet hatte, dass sie noch lebte und atmete. Augenblicklich kehrten die Geräusche wieder. Kaum mehr Schlachtenlärm war dabei, denn der Widerstand der Dorfbewohner hatte sich erschöpft. Etliche waren tot, andere waren am Strand zusammengetrieben worden. Als sie sich umdrehte, fiel ihr Blick auf die Frau, die mit der Ziege gekämpft hatte und der es danach offenbar gelungen war, ihren Hausrat wieder einzusammeln, nicht aber zu flüchten. Sie hielt ihn nun fest umklammert und in ihrem Gesicht stand ein Ausdruck des Trotzes. Mochte man sie auf einen Sklavenmarkt in die Fremde bringen und dort verschachern, mochte sie sich nicht mehr selbst gehören – das, was sie besaß, gab sie nicht auf.
    Dann hörte Alaïs Aurel schreien, auf eine Weise, wie sie ihn noch nie hatte schreien hören. Er lag nicht weit von ihr am Boden, totenbleich, verkrampft, und hielt das Bein, wo der Pfeil ihn getroffen hatte und immer noch herausragte. Er blutete nicht so heftig wie der Mann, den er zu retten versucht hatte, und dennoch wähnte Alaïs ihn der Ohnmacht nahe. Sie kroch auf dem sandigen Boden zu ihm, griff nach dem Pfeil.
    »Nicht!«, keuchte er. Seine Augen schienen förmlich aus den Augenhöhlen zu quellen. Er konnte sonst nichts sagen, sah sie nur durchdringend an – und sie verstand: Einen Pfeil durfte man nicht einfach aus der Wunde ziehen. Seine Widerhaken würden die Wunde noch mehr aufreißen, und wenn er brach, würde er obendrein einem Nagel gleich stecken bleiben.
    »Aber was soll ich tun?«, jammerte sie.
    Er deutete auf seinen Rücken. Sie wusste zwar nicht, wie ihm das gelungen war, aber er trug immer noch seinen Lederbeutel bei sich. Ihre Hände zitterten so stark, dass sie ihn kaum öffnen konnte, noch weniger schien es ihr gelingen zu wollen, jenes längliche, spitze Messer hervorzuziehen, das er begehrte. Das dachte sie zumindest, ohne dass er es ihr sagte, und ihre Wahl war die richtige, denn er nickte zustimmend, als sie es endlich in Händen hielt. Sie wollte es ihm reichen, doch er schüttelte den Kopf.
    »Du … du …«, stammelte er.
    Sie sollte es tun.
    »Aurel … ich kann nicht … Wir brauchen Wein, um die Wunde zu reinigen, und sauberes Leinen, um sie zu verbinden. Vielleicht muss sie ausgebrannt werden, ich kann unmöglich …«
    Wieder war es nur ein Wort, das er hervorbrachte: »Gift!« Und wieder reichte es, um ihn zu verstehen. Er hatte Angst, dass die Pfeile der Mauren vergiftet waren.
    Mit letzter Kraft robbte er zum Meer, tauchte das Bein ins Wasser. Unscharf konnte sich Alaïs erinnern, dass er sie einmal über die Wirkung von Salz belehrt hatte, dass dieses eine ähnliche Wirkung hatte wie Wein, weil es eine Wunde reinigen und vom Eiter freihalten konnte.
    Sie gehorchte ihm. In ihrem Kopf spukte nur ein Befehl:
Entferne den Fremdkörper aus einer Wunde und halte sie so klein wie möglich!
    Sie schnitt direkt neben dem Pfeil ins Fleisch, so tief, bis sie dessen Spitze erreichte. Sie schnitt darum herum wie um das Kerngehäuse eines Apfels und drehte ihn dann heraus. Aurel schrie, ballte seine Hände zu Fäusten und schlug damit in den Sand, um sich vom Schmerz abzulenken. Sie musste sich auf sein Bein setzen, um es halbwegs ruhig zu halten, aber schließlich löste sich der Pfeil aus der Wunde, und rotes Blut spritzte hervor. Der Pfeil hatte keine Widerhaken, stellte sie erleichtert fest.
    Sie wollte im Lederbeutel nach etwas suchen, was als Verband taugte, vielleicht nach Nadel und Faden, um die Wunde zu nähen, doch in dem Augenblick wurde ihr das Messer aus der Hand geschlagen. Kurz dachte sie, es wäre Aurel, so wahnsinnig vor Schmerz, dass er nicht mehr wusste, was er tat.
    Stattdessen war es einer der Mauren, die nun – da sämtliche Überlebende am Strand zusammengetrieben waren – daran gingen, diese zu fesseln und in Boote zu schaffen.
    Vergeblich deutete Aläis auf Aureis Wunde. »Er ist verletzt! Ihr könnt ihn nicht mitnehmen! Er stirbt!«, schrie sie.
    Es nutzte nichts. An ihren Haaren wurde sie hochgezerrt, ähnlich lieblos und ähnlich gleichgültig, wie man ein störrisches Schaf

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