Die Gefährtin des Medicus
anders als sie es erwartet hatte, nicht verriegelt, sondern stand eine Handbreit offen.
»Warum sind wir nicht …?«, setzte sie an.
Sie brachte die Frage nicht zu Ende. Die Frau verstand sie ohnehin nicht, und Aurel war in seinen Schmerzen gefangen. Wenn sie wissen wollte, was hier vor sich ging, musste sie schon selbst den Mut aufbringen, zu jener Tür zu wanken, vorsichtig hindurchzuspähen, den Spalt ein wenig weiter aufzustoßen.
Sie wartete förmlich darauf, dass man sie daran hindern, dass augenblicklich ein finsterer Maure vor ihr aufragen würde. Doch als sie schließlich hinaustrat ins gleißende Sonnenlicht, da trafen sie die Blicke von Männern, die sie kannte.
Mallorquiner allesamt. Es war auch jener dabei, der wie sie Zuflucht beim Türmchen gesucht und so verzweifelt zur Jungfrau Maria gebetet hatte. Sie kauerten erschöpft an der Reling des Schiffes, manch einer verwundet, andere erstarrt.
»Was geht hier vor?«, rief sie.
Sie schützte ihre Augen vor der Sonne und verdrängte weiterhin das unerträgliche Pochen in ihrem Kopf. Nicht nur Mallorquiner sah sie jetzt, sondern weitere Männer, rege beschäftigt und offenbar Teil der Besatzung des Schiffes. Manche sahen aus wie die Mauren, andere jedoch glichen den Matrosen auf Pio Navales Schiff.
»Was geht hier vor?«, fragte sie wieder.
Einer der Mallorquiner hob den Kopf. »Er … er hat uns von den Mauren befreit!«
Aläis folgte seinem Blick – und erstarrte.
Der Mann, dem sie offenbar verdankte, nicht leblos im Wasser zu schwimmen, trug ein Tuch nach Heidenart um den Kopf geschlungen. Seine Haut war dunkel, doch nicht einfach nur von der Sonne gebräunt, sondern fast ins Schwarze gehend. Schwarz war auch der Stoff des Gewandes. Es schlackerte an seinem dürren Leib und glich einem Frauenkleid. Er stand nicht weit von ihr, achtete nicht auf die Menschen – waren sie tatsächlich von ihm Befreite oder vielmehr Gefangene? – und gab Befehle, mehr mit Händen, als mit Worten. Nur einzelne Silben trug der Wind zu ihr. Sie verstand ihren Sinn nicht, nur, dass es nicht die kehligen Laute der Mauren waren, mit denen er sich verständigte.
»Was geht hier vor?«, fragte sie wieder.
Der Mallorquiner zuckte mit den Schultern. »Er … er hat nicht zugelassen, dass wir verschleppt werden.«
»Aber was wird nun geschehen? Müssen wir auf dem Schiff bleiben? Was …«
Der Mann zuckte wieder mit den Schultern, und sie achtete nun auch gar nicht länger auf ihn. Eben hatte sie nicht weit von der Tür zu der kleinen Kammer entfernt Aureis Beutel entdeckt. Als man ihn hierher geschleppt hatte, musste er sich von AureisRücken gelöst haben. Sie bückte sich, riss ihn auf. Wasser blubberte ihr entgegen, doch sämtliche Instrumente waren noch vorhanden. Nur die Verbände waren aufgeweicht und darum unbrauchbar, desgleichen die Pulver und Mixturen.
»Bitte!« Sie hob den Kopf, sprach nicht direkt jemanden an, weder einen der Mallorquiner noch einen der Matrosen dieses dunkel gekleideten Mannes. »Bitte, ich brauche Wein! Ich kann die Wunde nähen, aber zuvor muss ich sie reinigen!«
Niemand achtete auf sie. Sie nahm den Lederbeutel mit sich. Er war so viel schwerer, als sie ihn in Erinnerung hatte. Oder sie war so viel schwächer.
Dann trat sie zurück in die Kammer, um nach Aureis Wunde zu sehen.
Zeit verrann, sie wusste nicht, wie viel und wie schnell. Immer heißer wurde es zunächst in der kleinen Kammer, bis schließlich kalte Nachtluft durch die Ritzen floss und die geröteten Gesichter abkühlte. Der Gestank hingegen entwich nicht. Er entströmte der alten Frau, die bei ihnen hocken blieb und deren Ausdünstungen nach Ziegenkot rochen, und er kam von Aurel, der, nachdem sie seine Wunde notdürftig behandelt hatte, in Ohnmacht oder Schlaf gesunken war.
»Du musst die Wunde reinigen«, hatte er immer wieder gesagt.
»Das weiß ich doch«, schnaubte sie, »aber womit nur?«
Sie hatte Nadel und Faden, um die Wundränder miteinander zu vernähen, und sie riss sich ein Stück von ihrem Kleid ab, um daraus einen Verband zu machen – aber Wein hatte sie nicht. Immerhin, und das stellte sie erst nach einer Weile fest, stand in der Kammer ein Krug Wasser. Es war längst lau geworden, aber es roch halbwegs frisch.
»Wer hat das gebracht?«, fragte sie verwirrt.
Die Ziegenfrau glotzte sie an, sagte irgendetwas Unverständliches und hob dann ihren Umhang. Eine neuerliche Woge ihres Gestanks traf Alaïs, und sie musste schlucken, um nicht zu
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