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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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einem Stöhnen über seine Schultern wuchtete. Das Boot wankte, drohte wieder zu kippen.
    »Nicht!«, kreischte Alaïs und zappelte dabei mit Händen und Füßen. Die Hanfstricke gruben sich noch tiefer in ihre Haut, ihre Glieder wurden steif und gefühllos. Im nächsten Augenblick sah sie die aufgewühlte Oberfläche des Wassers auf sich zukommen. Es schien über ihr zusammenzuschlagen, und erst als ihr Körper sank, bekam sie wieder ein Gefühl dafür, wo oben und unten war und dass sie in das Wasser fiel, nicht dieses auf sie. Sie kämpfte gegen die Fesseln. Es nutzte nichts, dass ihr Vater ihr einst das Schwimmen beigebracht hatte, wenn sie sich nicht daraus befreien konnte. Ihre Brust schien zu bersten, das Wasser wurde immer kälter und dunkler, je tiefer sie sank. Die Stricke an ihren Händen blieben fest, doch je heftiger sie mit den Füßen strampelte, desto mehr Bewegungsfreiheit bekam sie. Zumindest dieser Strick löste sich. Sie trat nun förmlich gegen das Wasser, kämpfte sich langsam an die Oberfläche. Sie prustete, spuckte, schöpfte nach Atem. Trat immer weiter mit den Füßen, ohne Orientierung, Hauptsache, ihr Kopf geriet nicht unter Wasser.
    Nach einer Weile stießen ihre Füße auf Sand. Zu diesem Zeitpunkt schmerzten die Muskeln so sehr, dass sie nicht wusste, ob sie sich noch länger über Wasser halten konnte.
    Gott sei Dank, dachte sie und kämpfte sich ans Ufer. Gott sei Dank …
    Ihre Kleider hatten sich mit Wasser vollgesogen, schienen immer schwerer und schwerer zu werden, als griffen dunkle Arme nach ihr und wollten sie zurück in die Fluten zerren. Dennoch kämpfte sie ihren Oberkörper frei. Nur mehr wenige Schritte, und sie würde den Strand erreichen, nur mehr …
    Dann hörte sie ein Knirschen hinter sich. Eines der Boote näherte sich. Sie vernahm ein Krachen, und ehe sie den Schmerz spürte, wusste sie, dass das Boot ihren Kopf getroffen hatte.
    Sie schwankte, fiel, ging unter. Sie sah, wie das Wasser sichum sie rötete, und ihre letzten Gedanken galten der Frage, ob das Blut von ihr stammte oder von Aureis Beinwunde. Darüber vergaß sie das Bedauern, dass sie niemals die Insel hinter dem Horizont erreichen, sondern zuvor sterben würde.

Sechster Teil
     
     
Die Chirurgin
     
Sommer 1328

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XXXI. Kapitel
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    Der Traum wiederholte sich, der Traum vom Wasser, in dem sie schwamm, nackt und befreit. Doch das Wasser glitzerte nicht grünlich, wurde nicht von Sonnenstrahlen durchsiebt, sondern war ein weiter, kalter, schwarzer Raum. Keinen sandigen Grund gab es, auf den sie irgendwann sank, keine Alge, die sich um ihre Füße schlang, keinen Fisch, der mit seinen toten Augen ihren leblosen Blick erwiderte, nur Leere. Selbst das Blut, das sie oder aber auch Aurel verströmt hatten, verlor seine Farbe.
    Dann Zittern vor Kälte, bedrohlicher noch als der Druck auf der Brust, der salzige Geschmack in ihrem Mund oder das beißende Meerwasser, das ihre Nase verätzte, nachdem sie es eingesogen hatte.
    Luft fehlte nun keine mehr, aber schwarz blieb es und eisig, als wäre sie nicht nur aller Kleidung verlustig gegangen, sondern auch der schützenden Haut. Vielleicht war von ihr nichts übrig als lebloses Fleisch oder die Knochen, von denen sich dieses Fleisch gelöst hatte.
    Das Stöhnen, das sie ausstieß, klang freilich lebendig. Die Kehle fühlte sich vom Salzwasser wie zerschnitten an. Aber sie konnte ihre Zunge fühlen, auch wenn diese trocken und geschwollen war und – als sie versuchte, damit die Zähne abzutasten – so reglos, als könnte sie nie wieder ein Wort formen. Wieder stöhnte sie, dann schlug sie die Augen auf. Die Welt, in der es eben noch weder oben noch unten gegeben hatte, nur Wasserfluten, die sie verschluckten, war erstaunlich trocken. Zwar klebte das Haar an ihr wie die Kleidung, doch die Decke, auf die ihr
    Blick gerichtet war, war aus morschem Holz. Jene Decke stand nicht still, schien sich zunächst zu drehen, dann immer weiter auf sie herabzukommen. Erst nachdem sie die Augen geschlossen und erneut geöffnet hatte, gewahrte sie, dass der Raum, in dem sie sich befand, gleichmäßig schwankte.
    Ein Schiff. Sie musste auf einem Schiff sein.
    Es zu begreifen hieß nicht, es auch zu verstehen. Das Letzte, an das sie sich erinnern konnte, war doch, dass man sie mit den kleinen Booten wieder zurück ans Land geschafft hatte – und nun plötzlich war sie auf hoher See?
    Ihre Zunge fühlte sich immer noch wie taub an, doch zumindest in den steifen Gliedern

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