Die Gefährtin des Medicus
kribbelte frisches Blut. Sie versuchte sich aufzusetzen – und wurde mit schlimmen Schmerzen bestraft: Ihr Kopf schien dort, wo das Boot dagegengestoßen war, förmlich zu zerplatzen. Ihre Kehle brannte, als hätte sie glühende Kohlen verspeist, und an ihrem Fuß, wo sie sich den Dorn eingetreten hatte, schien ein Loch zu klaffen.
Sie ließ sich wieder zurücksinken und konnte an nichts anderes denken als an ihre Schmerzen. Dass sie langsam verebbten, war eine größere Labsal als die Gewissheit, die sie immerhin auch versprachen: dass sie noch lebte. Dass sie nicht elendiglich ersoffen war.
Als sie sich ein zweites Mal aufsetzte, war sie besser gewappnet. Sie hielt die Luft an, biss die Zähne zusammen und konnte sich immerhin bewegen, ohne vor Schmerz zu zerspringen. Wieder dauerte es eine Weile, bis das Pochen und Brennen langsam verebbten – dann fühlte sie sich stark genug, sich in dem kleinen Raum umzublicken.
Sie vernahm ein Stöhnen. Es kam von jemandem, der ganz dicht neben ihr lag. Ehe sie ihn sah, ihn wahrnahm, hatte sie schon ihre Hand nach ihm ausgestreckt und ihn berührt.
»Aurel …«
Trotz der geschwollenen Zunge konnte sie seinen Namen sagen.
Er hielt die Augen geschlossen, seine Stirn glänzte nass, entweder vom Meerwasser oder vom Schweiß. Ihr Blick glitt über seine Gestalt und blieb bei seinem Bein hängen. Merkwürdig verdreht lag es da, doch das war nicht das Erschreckendste. Das Erschreckendste war die klaffende Wunde, aus der fortwährend Blut strömte, nicht frisches rotes, sondern sämig gelbes. An jener Stelle, wo sie ihm den Pfeil herausgezogen hatte, war die Haut aufgerissen wie trockenes Leder.
»Aurel … «, stammelte sie wieder.
Sie hatte erwartet, dass ihn eine tiefe Ohnmacht gefangen hielt, doch nun wälzte er nicht nur seinen Kopf hin und her, sondern versuchte, etwas zu sagen. »Mein Bein …«, brachte er schließlich hervor. »Sieh nach meinem Bein …«
Ihr Blick war immer noch starr auf die Wunde gerichtet, doch sie wusste, dass er mehr von ihr verlangte, als diese nur anzusehen. Sie sollte sie reinigen, sie sollte sie nähen – sie, die gerade mal halbwegs aufrecht sitzen konnte, ohne von den Schmerzen zerrissen zu werden. Hilflos hob sie die Hände, doch selbst das war an Anstrengung zu viel. Sie ließ sie wieder sinken, lehnte sich an die schiefe Wand, schloss die Augen. Nur dann und wann öffnete sie sie wieder, vergewisserte sich, dass sie immer noch in dieser Kammer war, sich jene auf einem schwankenden Schiff befand und dass Aurel weiterhin verrenkt dalag, seinen Blick auf die Wunde gerichtet, aber nicht fähig, sie zu versorgen.
Erst nach einer Weile und nachdem sie wiederholt gegen die drückende Schwere ihrer Lider gekämpft hatte, gewahrte sie, dass Aurel und sie nicht allein in jener Kammer waren. Nicht weit von ihr hockte eine jener kleinen, zähen mallorquinischen Frauen mit ledriger Haut und fleißigen Händen, die immer irgendwie schon alt zu sein schienen.
War es womöglich die Frau, die so verbissen um ihre Ziege gekämpft hatte?
Alaïs suchte ihren Blick. Er war leer.
Mühsam klaubte sie in ihrem Gedächtnis ein paar Brocken Katalanisch zusammen und versuchte, sie zu einer Frage zusammenzuführen: warum die Mauren sie zunächst wieder an Landgebracht hatten, sie nun aber doch wieder auf dem Schiff waren.
Noch mehr hätte sie fragen wollen, aber dazu fehlten ihr die Worte: warum man sie wieder aus dem Wasser gefischt hatte, und warum man den verletzten Aurel nicht hineingeworfen hatte? Blutende Menschen wären auf dem Sklavenmarkt doch nicht zu verkaufen.
Der Blick der Frau blieb starr, doch nach einer Weile murmelte sie etwas. Das Wort, das Alaïs zu verstehen glaubte, war ihr fremd.
»Was meinst du?«, fragte sie ungeduldig.
Aurel stöhnte. »Du musst meine Wunde nähen …«
Die Frau wiederholte das Wort, deutete nach oben. Erst jetzt nahm Alaïs die kleine, runde Luke wahr. Ihretwegen war es so hell in der Kammer. Sie vergaß ihre schrecklichen Kopfschmerzen, das Brennen in der Kehle, den Druck in der Brust und sprang auf. Als sie den Kopf durch die Luke streckte, atmete sie frische Meerluft.
»Wir fahren nicht!«, stellte sie verwundert fest. »Das Schiff … Das Schiff ankert noch!«
War es das, was ihr die Frau hatte sagen wollen? }ene zuckte mit den Schultern, doch Alaïs' Blick blieb ohnehin nicht lange auf sie gerichtet. Nun, da sie sich wieder von der Luke abwandte, sah sie die Tür zu der kleinen Kammer, und diese war,
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