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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Weite Reisen unternahmensie, in ferne Länder. Sie waren in Konstantinopel und in Kaffa, auf Rhodos und in Smyrna, in Trapezunt und in Tunis. Wenn sie mit Heiden zusammentrafen, gab sich Akil als Herr des Schiffes aus. Begegneten sie Christen, dann war es Gaspare. So konnten sie mit allen Ländern dieser Welt Handel treiben.«
    Erstmals versickerten seine Worte nicht einfach nur, sondern erzeugten Bilder in Alaïs – das vom gierigen Giacinto, der an solch einer Idee, Geschäfte zu machen, großen Gefallen gefunden hätte, und das von Pio Navale, der an Männern, die viele fremde Länder bereist und viele Sprachen genutzt hatten, wohl noch größere Freude gehabt hätte. Würde sie ihn jemals wiedersehen? Konnten sie ihn von hier aus benachrichtigen? Wo war sie überhaupt? Tatsächlich im Norden der Insel, wie sie glaubte, oder in einem fremden Land?
    Sie wollte sich freilich nicht umblicken. Das hätte bedeutet, auch an Aurel zu denken und an sein abgeschnittenes Bein.
    »Und du?«, fragte sie. »Wie hat dein Weg sich mit jenem der beiden gekreuzt?«
    »Ich war fünf Jahre in Gefangenschaft, als ich hörte, dass es ein Mittel gebe, die Freiheit zu erlangen. Man müsse, so sagte mir ein Leidensgenosse, nur vorgeben, man hätte die Lepra, dann würde man am nächstbesten Hafen zurückgelassen. Ich habe mich also umgehört, wie sich die Lepra denn erkennen ließe, und dann behauptet, meine Haut würde nässen und ich könnte meine Finger nicht mehr geradestrecken. Und mit Erdklumpen habe ich sie mir obendrein eingerieben, in der Hoffnung, meine Haut gleiche dann verwestem, verfaultem Fleisch.«
    »Und man hat dir geglaubt?«
    »Das schon«, der Mann grinste, »aber mein Herr wollte mich daraufhin nicht freilassen, sondern lieber erschlagen. Anders als man es mir sagte, ist das nämlich das übliche Verfahren.«
    Er sprach so heiter, als würde ihn die Geschichte auch im Nachhinein noch belustigen.
    »Es war in Chios, und ich höre bis heute noch die Stimme von Gaspare, wie er rief: >Lasst den Knaben in Frieden!< Er hatmit seinem Schiff zufällig im gleichen Hafen geankert und ist auf mich aufmerksam geworden. Er hat mich damals gerettet, indem er mich meinem Herrn abkaufte, und ich bin ihm bis heute dankbar dafür. Ich war wie ein Sohn für ihn – und nach seinem Tod bin ich Akils Partner geworden.«
    Er beließ es bei den knappen Worten, erklärte nicht, woher das Mitleid jenes Gaspares mit dem heimatlosen Knaben rührte, und Alaïs bohrte nicht weiter. Eben noch hatte seine Erzählung den Sinn erfüllt, sie abzulenken – nun strengte jedes Wort sie an. Nichts mehr aufnehmen wollte sie. Doch das Einzige, was von ihrem Körper troff, war Schweiß, die Eindrücke der letzten Stunden hingegen kehrten zurück, verhedderten sich in ihrem Kopf, spuckten grässliche Bilder.
    Der Fremde erhob sich vom Sand. »Willst du dich nicht waschen?«, fragte er. Er streckte ihr die Hand entgegen, und sie suchte nicht daran zu denken, dass diese Hand vor kurzem noch Aurel gehalten hatte. Dankbar ergriff sie sie, weil er ihr dringendstes Bedürfnis erkannt hatte. Erst jetzt ging ihr auf, dass sie seinen Namen nicht wusste.
    »Wie heißt du?«, fragte sie.
    »Sancho«, sagte er, und mit einem Hauch von Wehmut setzte er hinzu: »Sancho – und nichts weiter.«
     
    Als am Morgen die Klippen langsam aus dem Dunst getreten waren, hatte sie vermeint, dass jene Bucht vor allem aus schroffem Stein bestünde. Nun sah sie, dass der Streifen Sand, auf dem sie eben gesessen hatte, breiter war als gedacht und man auf ihm in seichtes Wasser waten konnte. Ihre Haut prickelte, als sie immer tiefer in das kühle Wasser ging. Ihre fleckige Tunika saugte sich voll und wurde schwer. In ihrem Kopf begann ein leichter Schmerz zu pochen, wurde heftiger und erinnerte sie daran, dass nicht nur Aurel während des Maurenangriffs verletzt worden war, sondern auch sie selbst. Sie kümmerte sich nicht darum, steckte ihren Kopf einfach ins Wasser. Ihre Haare nahmen augenblicklich Feuchtigkeit auf und wurden schwer wie ihr Gewand.Dort, wo das Boot ihren Kopf gerammt hatte, brannte es. Als sie nach einer Weile wieder auftauchte, schmerzten ihre Lungen, weil sie so lange die Luft angehalten hatte. Sie watete zurück an den Strand, tauchte aber auf dem Weg immer wieder aufs Neue unter. Mit den Fingern kämmte sie ihre Haare zurück. Das letzte farblose Licht, das die untergehende Sonne auf die Erde schickte, war nicht länger warm. Sie fröstelte, und nach all dem,

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